News 26.05.2016, 09:51 Uhr

Wie mithilfe von Facebook die Winterthurer IS-Zelle ausgehoben wurde

Das Bundesamt für Polizei konnte nur dank Facebook und dem Abhören von Telefonen die Winterthurer IS-Zelle ausheben.

14. März 2014

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) informiert das Bundesamt für Polizei Fedpol über eine in der Schweiz wohnhafte Person, die angeblich in die Vorbereitungen eines Terroranschlags verwickelt ist *. Laut NDB unterhält diese Person Kontakte zu einem mutmasslichen Führungsmitglied des «Islamischen Staats im Irak und in der Levante» (ISIL) in Syrien. Ein Treffen mit einem weiteren Protagonisten soll stattfinden, um den Anschlag vorzubereiten.
Die Bundesanwaltschaft leitet umgehend eine Untersuchung ein, woraufhin der Verdächtige observiert wird und Telefone angezapft werden. Die Verdachtsmomente verdichten sich gegen zwei Iraker und eine noch nicht identifizierte Person. Als einer der Verdächtigen in den Irak reist, um, wie aus mitgehörten Telefonaten vernommen, «nützliche Informationen, um die Arbeit zu erledigen» zu erhalten, beschliessen die Behörden zu handeln. Nach der Rückkehr werden die drei Verdächtigten festgenommen. Weil der polizeiliche Informationsaustausch mit Staaten wie Irak oder Syrien fast unmöglich ist, können die Schweizer Behörden nicht vor Ort ermitteln.
Die Hauptinformationsquelle ist deshalb bei den Verdächtigen gefundenes elektronisches Datenmaterial. Zwei Terabyte Daten werden in Computern und Mobiltelefonen sichergestellt. Unverzichtbar sind aber vor allem Facebook-Chats. Die Beamten transkribieren und analysieren 30'000 Zeilen daraus. Um das ganze Material auswerten zu können, werden verschiedene Teams mobilisiert. Operative Analysten bereiten die vom Betreiber gelieferten Daten in ein allgemein zugängliches Format auf. Übersetzer übertragen die in Arabisch geführten Chats ins Deutsche, samt Interpretation von Abkürzungen und codierten Ausdrücken. Gemeinsam versuchen anschliessend die Akteure, nach belastenden und entlastenden Hinweisen suchen. Bald einmal stellt man mithilfe strategischer Analysen fest, dass die Geschichte des ISIL von entscheidender Bedeutung bei der Spurensuche ist. Seit mehreren Jahren haben sich die Verdächtigen der dschihadistischen Ideologie verschrieben, wie in den Chats gemachte Anspielungen auf bestimmte Ereignisse erkennen lassen. Über den Chat finden die Ermittler auch heraus, dass die drei Iraker dschihadistisch motivierte Personen nach Europa geschleust hatten. Weil die Ermittlungen auch Verbindungen in die USA ergeben, erhält Fedpol zusätzliche Möglichkeiten. Das FBI kann von den Facebook-Betreibern direkt Daten aus den verdächtigen Chats einfordern und tauscht diese mit der Schweizer Behörde aus.
Effizientes Arbeiten ist angesagt. Denn nach wie vor besteht die Möglichkeit, dass die drei unschuldig in Untersuchungshaft sitzen. Doch die Verdachtsmomente verdichten sich, die U-Haft wird bis zum Gerichtsprozess verlängert, während die Ermittler weiterhin alle Daten auswerten, die ihnen zur Verfügung stehen.

Ende 2015

Die Anklageschrift steht – nach mehreren Tausend Stunden Analyse und Ermittlung. Mittlerweile steht eine vierte Person unter Anklage. Den Angeklagten wird Beteiligung oder Unterstützung einer kriminellen Organisation und Schleusung weiterer IS-Anhänger nach Europa vorgeworfen. «Die Aufgabe ist erfüllt», sagt der leitende Ermittler. «Die Hauptaufgabe ist, belastendes und entlastendes Beweismaterial zu suchen. Zweitrangig ist, wie das Urteil am Schluss lautet. Obwohl eine Verurteilung natürlich auch eine gewisse Anerkennung der geleisteten Arbeit bedeutet.»

März 2016

Das Bundesstrafgericht befindet zwei der Angeklagten für schuldig und verurteilt sie zu einer Haftstrafe von vier Jahren und acht Monaten wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation. Der dritte Angeklagte wird zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen Unterstützung einer kriminellen Organisation verurteilt. Der vierte Angeklagte wird freigesprochen.
* Die Informationen sind dem Fedpol-Jahresbericht entnommen.

Fabian Vogt
Autor(in) Fabian Vogt



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