Kommentar 24.10.2003, 08:30 Uhr

Das Freitagsbit: Mein Nachbar, der M-Mann

Die WWKolumne
Mein Nachbar klingelt in letzter Zeit häufiger bei mir. Fragt nach Zucker oder sonst einer Belanglosigkeit. Und immer dann, wenn bei mir die Stereoanlage an ist. Ziemlich laut. Aber daran scheint sich mein Nachbar nicht zu stören. Im Gegenteil: Gestern hat er mich sogar gefragt, ob er mal meine Song-Sammlung durchhören könne. "Schöne Musik haben Sie", hat er gesagt, während gerade Metallica aus den Boxen dröhnt. Das hat mich hellhörig gemacht: Schöne Musik. Ausgerechnet mein Nachbar, der Mozart-Freak, findet Metallica "schön". Und hab ihn gleich abgewimmelt.
An meine Song-Sammlung lass ich niemanden ran. Seit die Musikindustrie die Musik per DRM kontrolliert und das Recht auf Privatkopie abgeschafft ist, bin ich vorsichtiger geworden. Die langen Arme der Krake reichen überall hin. In jeder Strasse flanieren die COPyS, eine neue Spezialabteilung der Kantonspolizei, die nach Verstössen gegen das Urheberrecht fahndet und dabei schon mal einem Jogger den Walkman von Kopf und Hüfte reisst. Die COPyS sind eine innovative Dienstleistung des Staates; es handelt sich um die erste von der Privatwirtschaft gesponserte Polizeitruppe.
Mit Wehmut denke ich an alte Zeiten zurück. Früher konnte man sich die Musik in speziellen Läden auf Tonträgern kaufen, durfte sie zuhause unbeschränkt geniessen und musste nicht für jeden Zweck denselben Song dreimal kaufen. Der Staat hatte im Wohnzimmer nichts verloren. Heute gibts solche Freiheiten nur noch auf dem Schwarzmarkt. Das Unheil nahm spätestens im Oktober 2003 in Deutschland seinen Lauf, als sich der IT-Branchenverband Bitkom [1] vehement gegen Pauschalabgaben auf PCs und Drucker wehrte. DRM-Systeme könnten doch das Urheberrecht vieeeel besser schützen als die Pauschalabgabe auf Tonträger und IT-Geräte.
Wenn mein Nachbar wieder klingelt, lasse ich auf jeden Fall die Tür zu. Schöne Musik! Pah! Seit gestern keimt in mir der schreckliche Verdacht: Mein Nachbar muss ein M-Mann der COPyS sein. Einer dieser Spitzel, die ihre Nachbarn, Freunde und Bekannte für eine unbeschränkt lizenzierte MP3-Datei verpfeifen. Schöne Musik!



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