News 12.09.2011, 09:57 Uhr

Outsourcing: Selbst vorlesen war gestern

Microsoft arbeitet derzeit an der Applikation Infinite Adventure Machine. Sie erschafft Märchen für Kinder und soll als interaktive Vorlesehilfe dienen. Experten sind noch uneins über die Einbindung von Technik ins Vorlesen.
Anfang des 20. Jahrhunderts zerlegte der Philologe Wladimir Propp Sagen in ihre Bausteine und fand 31 Funktionen, die in vielen Geschichten erfüllt werden. Auf dieser Basis entwickelt Microsoft Research nun die App Infinite Adventure Machine. Sie erschafft Märchen für Kinder und soll als interaktive Vorlesehilfe dienen. Dabei produziert die Abenteuermaschine Seite für Seite nur grobe Vorgaben, aus dem Vorleser und Kind die Details der Handlung selbständig entwickeln sollen. Ralph Möllers, Chef des Terzio-Verlags begrüsst die Idee, Zirkuspädagoge und Verleger Christian Meyn-Schwarze hingegen sieht Elektronik als Hindernis für die Interaktion zwischen Eltern und Kind.
Der Erzählung Kern
Die vom Designer David Benque mitgestaltete Applikation soll mehr sein als ein Märchenbuch mit Touchscreen-Unterstützung. Sie soll ihre alten und jungen User anregen, gemeinsam aus einer vorgegebenen Basis die Handlung zu vertiefen und auszuschmücken. So zeigt sie etwa zur Eröffnung nur den Satz Die Eltern verlassen das Kind an und blendet dabei eine aus wenigen Elementen zusammengebaute Szene - etwa eine leere Hütte - ein.
Ich finde das super spannend, sagt Möllers im Gespräch mit pressetext. Ich denke, dass so ein Konzept des Geschichten-Erfindens und Erzählens die Kreativität fördert, meint er. Er sieht hier eine gelungene Verwendung für die Erkenntnisse von Wladimir Propp. Märchen, Mythen und Legenden aus jedem Kulturkreis enthalten universelle Themen und Strukturen, so der Publizist. Daher ist es für ihn auch nicht überraschend, dass sich unter den etwa 10'000 Programmen für Kinder in Apples App-Store ein erheblicher Teil mit den populären Erzählungen für Kindern auseinandersetzt.
Der Elektronik Magie
Der Infinite Adventure Machine wenig abgewinnen kann Meyn-Schwarze. Er betrachtet die Einbindung von Tablets und Co in den persönlichen Umgang zwischen Eltern und ihren Sprösslingen grundsätzlich kritisch. Beim Vorlesen geht es sehr viel um Emotionen. Wichtig ist der individuelle, auch körperliche Kontakt und das Gespräch beim Vorlesen, stellt er fest. Sobald so ein Gerät im Spiel ist, sind die Kinder von der Technik abgelenkt und nicht mehr aufmerksam für Inhalte oder den Dialog.
Diese Gefahr sieht Möllers jedoch nicht. Für ihn sind der gemeinsame Akt des Erzählens und die Qualität der Geschichten der springende Punkt. Moderne Computer können hier die Rolle eines 'digitalen Lagerfeuers' einnehmen, denn beim gemeinsamen Beisammensitzen ist es, wo die Tradition des Erzählens entstanden ist, erläutert er. Dazu kommt es auch auf die Qualität des Inhalts an. Bei einer guten Geschichte macht es keinen Unterschied, ob sie auf Papier oder einem Bildschirm präsentiert wird. Und eine schlechte Erzählung wird nicht besser, nur weil sie in einem Buch steht.
Der Gemeinsamkeit Wert
Möllers sieht konventionelle und neue Medien nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung. Bezugnehmend auf einen Vergleich zwischen einem Buch und der Infinite Adventure Machine meint er: Das Eine ist wie ins Museum gehen, Bilder anzusehen und etwas über die Künstler und Kultur zu lernen. Das Andere ist der Malkasten zum selbständigen experimentieren, so sein Resümee. Zwei unterschiedliche Dinge, die aber beide wichtig sind und zusammengehören.
Einig sind sich die Experten jedoch, wenn Elektronik von Eltern eingesetzt wird, um Kinder alleine zu beschäftigen. Beide Verleger sind erklärte Gegner des Fernsehgerätes als Beschäftigungstherapie anstelle von Gemeinschaftsaktivitäten. Läuft das TV beim Essen, so wird die Kommunikation und Beziehungsarbeit in einer Familie behindert, so Meyn-Schwarze.
Microsofts Märchengenerator befindet sich in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium. Die Applikation wird im interdisziplinären Labor Cite de la mode et du design in Paris im Rahmen der Glitchfiction-Ausstellung gezeigt werden.
Text: pressetext.com/Georg Pichler

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