News 22.03.2016, 09:59 Uhr

Netflix vs. Swisscom: Der schwarze Peter wandert hin und her

Die Swisscom hat ein Problem: Sie bietet ihren Kunden absichtlich schlechteren Netflix-Empfang als die Konkurrenz.
Update: Swisscom hat mit Netflix kurz nach Erscheinen dieses Artikels einen Peering-Vertrag unterzeichnet. Lesen Sie alles darüber exklusiv hier.
Orginaler Artikel:
Seit Monaten beklagen sich Swisscom-Kunden darüber, Netflix in schlechter Qualität zu empfangen. Zu Recht, wie die monatlich publizierten Traffic-Werte von Netflix zeigen. Swisscom bietet zu Spitzenzeiten die durchschnittlich langsamsten Bandbreiten für Netflix an. Im Vergleich mit anderen Ländern sind 3,2 Mbit/s zwar gut, den Branchenkrösus national an letzter Stelle zu sehen, ist aber ein ungewohntes Bild. Zudem ist das zu wenig Bandbreite, wie der Blog «isp-blog.ch» schreibt. Ein guter HD-Stream benötige ungefähr 5 Mbit/s, ein Ultra-HD-Stream ca. 15 Mbit/s.
Keiner der sechs gelisteten Provider bietet seinen Kunden ein schlechteres Netflix-Erlebnis als die Swisscom
Wie kann es sein, dass der grösste Provider am meisten Mühe hat, genügend Bandbreite bereitzustellen? Die einfachste Antwort: Profitgier. Swisscom könnte ohne Weiteres für besseren Netflix-Empfang sorgen. Sie müsste einfach Cache-Server in ihren Rechenzentren aufstellen und hätte eine direkte Verbindung zu Netflix. Das sogenannte OpenConnect-Programm ist genau dazu da. Netflix stellt die benötigte Anzahl Server zur Verfügung, der Provider gibt IP-Adressen an, integriert die Server im Backbone, bezahlt Rackplätze sowie den Strom. Geld fliesst keines, aber alle gewinnen.
Trotzdem hat sich die Swisscom gegen diese Lösung entschieden. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass die Kosten für die Betreibung der Server viel teurer wären als die Bereitstellung. Der wahre Grund ist allerdings ein anderer: Swisscom will nicht, dass ein Content-Provider Bedingungen diktieren kann. Würde Swisscom auf das Angebot einsteigen, würden sämtliche anderen OTT-Anbieter wie Wilmaa oder Zattoo ebenfalls auf Peering-Verträge pochen und Swisscom viel Geld verlieren.

Stockender Transitverkehr

Aktuelle Netflix-Störungen in Europa, Afrika und in einem Teil Asiens: Die Schweiz ist stark betroffen
Weil man den Kunden Netflix anbieten möchte, nutzt Swisscom statt Peering Drittanbieter via den sogenannten Transitverkehr. In dem Fall kauft der Content-Anbieter (Netflix) Bandbreite beim Transitanbieter, der die Daten wiederum an den Internetprovider (Swisscom) weiterleitet. Bei Swisscom war der Transitanbieter von Netflix lange Zeit die Deutsche Telekom. Da lief Netflix fast beschwerdefrei. Doch seit sich Netflix entschloss, zu Level 3 und Cogent zu wechseln, mehren sich die Probleme von Swisscom. Vielleicht bezahlt Netflix Level 3 und Cogent weniger, vielleicht haben sie anderweitige Interessen. Fakt ist, dass Swisscom-Kunden seither weniger Vergnügen beim Netflix-Schauen haben.
«Wir verstehen die enttäuschten Kunden», sagt Armin Schädeli, Pressesprecher von Swisscom, auf Nachfrage. «Das ist auch für uns eine unangenehme Entwicklung.» Man hätte deshalb Verhandlungen mit Netflix intensiviert, beharre aber auf dem Standpunkt, Netflix nicht besser zu behandeln als andere: «Natürlich ist das ein Geschäftsmodell. Wir wollen nicht von unserer Praxis abweichen», sagt Schädeli. Hinzu komme, dass man am Beispiel der Deutschen Telekom gesehen habe, dass es für gute Qualität kein Peering brauche. «Netflix hätte die Möglichkeit, andere Transitanbieter zu benutzen oder die Kapazität zu erhöhen. Sie müssen ja auch ein Interesse daran haben, dass ihr kostenpflichtiger Dienst ruckelfrei läuft. Wir sind deshalb optimistisch, mit Netflix eine Lösung zu finden.» Wann dies ist, kann Schädeli nicht sagen. Sicher aber «zeitnah». «Das ist kein Zustand, der für unsere Kunden zumutbar ist.» Swisscom hat es in der Hand, Taten folgen zu lassen: Sie müsste lediglich auf Netflix zugehen und den Peering-Vertrag aushandeln.

Geschäftsmodell infrage gestellt

Die Grafik zeigt: Will der Content-Anbieter zu den Endkunden, muss dies irgendwie über den Internetprovider geschehen. Das gibt diesem die Kontrolle über den Internetverkehr
Würde es nur um dieses Geschäft gehen, Swisscom würde sofort zuschlagen. Negative Presse und Kundenrückgang wiegen über die Zeit deutlich schwerer als ein paar Hunderttausend Franken Mehrkosten für die Cache-Server. Bei dem Fall geht es aber um viel mehr, es geht um die Dominanz im Internet. Bislang verlangten die Internetprovider Geld von den Content-Anbietern für die direkte Verbindung zum Kunden. Denen blieb nichts übrig, als zu bezahlen - entweder den Telko oder einen Transitanbieter -, weil sie nicht direkt zum Endkunden kamen (siehe Grafik oben). Ausnahme ist, wenn die Gegenpartei nicht mehr als die doppelte Anzahl Daten an Swisscom liefert, als sie erhält. Das ist für OTT-Anbieter wie Netflix, Wilmaa oder Zattoo komplett unrealistisch, weil Endkunden viel mehr Netflix-Inhalte konsumieren, als sie senden. Lange wurde diese Regelung aufrechterhalten und brachte Befürworter der Netzneutralität zum Schäumen. Doch die Machtverhältnisse haben sich geändert: Schneller Internetzugang wird Gattungsware, der Inhalt dagegen immer wichtiger. Swisscom selbst ist das bewusst, wie Abkommen mit dem Teleclub zeigen. Dank eines wesentlich besseren Teleclub-Sportprogramms als das der nationalen Konkurrenz punktet man bei den Endkunden. Wenn aber Netflix ein ähnliches Spiel treiben würde und beschliesst, keine Dienste mehr bei Swisscom anzubieten, würden die Kunden vielleicht auch wechseln. Swisscom muss also Netflix bei Laune halten. Noch vor drei, vier Jahren war dieser Zustand undenkbar, mittlerweile hat der Machtwechsel aber stattgefunden.
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Im letzten Sommer war die Verbindung Netflix/UPC Cablecom noch deutlich die langsamste. Ein Peering-Abkommen brachte Abhilfe
UPC Cablecom hatte lange Zeit das schlechteste Netflix-Angebot der Schweiz. Seit Februar ist das nicht mehr der Fall. Der Grund: Am 9. Februar 2016 wurde ein direktes Peering zwischen Netflix und der UPC-Cablecom-Mutterkonzern Liberty Global abgeschlossen. Liberty Global erhielt dafür kein Geld, behauptet Fredy Künzler, Chef des ISPs Init7. Obwohl UPC Cablecom bisher eine Ratio von 3:1 von Diensten wie Netflix erwartete, die auf keinen Fall erreicht werden könnte. (Disclaimer: Künzler befindet sich in einem Rechtsstreit mit der Swisscom und hätte ein Interesse daran, dass die Swisscom kostenloses Peering mit seinem Unternehmen vereinbart.)
Die Vermutung, dass #Netflix für #Peering an #UPC zahlt, ist nicht zutreffend. Habe ich aus erster Hand. https://t.co/dcDQPOwRV9 @telekuh
— Fredy Kuenzler (@kuenzler) 21. März 2016
Stimmt die Aussage von Künzlers Quelle, hat sich Liberty Global Netflix gebeugt. Problematisch für die Swisscom: Liberty Global hat weltweit 25 Millionen Kunden in 14 Ländern und erwirtschaftete 2014 einen Umsatz von 18 Milliarden US-Dollar. Der Konzern ist um einiges grösser als die Swisscom. Wenn UPC Cablecom einknickt, wird das auch bei der Swisscom früher oder später geschehen.

Fabian Vogt
Autor(in) Fabian Vogt



Kommentare
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opferstock
24.03.2016
Also ich bin Swisscom-Kunde. Bei mir läuft Netflix absolut einwandfrei. Und nein, ich habe keine Aktien von der Firma noch arbeite ich da. Wahrscheinlich ist, dass Gott mich wohl liebt oder so :)