Deutschland 06.07.2022, 07:53 Uhr

Gekommen, um (zu Hause) zu bleiben

Nicht alle Unternehmen sind vom Home Office überzeugt – doch vielen Arbeitnehmern ist das egal. Obwohl im Home Office tatsächlich zahlreiche Ablenkungen lauern. Zudem ist nicht jeder Arbeitsplatz optimal.
(Quelle: Zivica-Kerkez/Shutterstock)
Kennen Sie Wolfgang Grupp? Wahrscheinlich schon, denn der Chef des schwäbischen Textilherstellers Trigema positioniert sich in der Öffentlichkeit gerne mit provokanten Aussagen. Auch zum Thema Home Office verkündete er während der Pandemie eine klare Meinung: «Wenn es einen gesetzlichen Anspruch auf Home Office geben würde, bräuchte ich garantiert 50 Prozent mehr Leute, weil die Effizienz leiden würde – bis man all diese Videokonferenzen abgestimmt hat, geht viel Zeit ins Land», sagte Grupp dem «Spiegel» in einem Interview.
Ganz allein dürfte Grupp mit dieser Meinung nicht sein. In einer Forsa-Umfrage behaupteten im vergangenen Jahr zwar 63 Prozent der Arbeitnehmer, dass sie im Home Office produktiver arbeiteten, doch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat bei einer anderen Befragung festgestellt, dass diesen Effekt nur 22 Prozent der Unternehmen erkannt haben wollen – da klafft die Wahrnehmung weit auseinander.
Nüchtern wissenschaftlich gesehen ist ein Rückgang der Produktivität daran zu erkennen, dass Mitarbeiter für die Bewältigung der gleichen Aufgabe mehr Zeit als früher benötigen. Das sagt noch nichts über die Qualität der Arbeit aus, die ebenfalls ein Problem sein kann. Denn wer etwa ständige Unterbrechungen und Ablenkungen privater Natur durch längere Arbeitszeiten kompensieren will, macht das oft in den Abendstunden, wenn die Kids zwar im Bett sind, aber die ­eigene Konzentration auch im Keller ist.
Home Office verlangt zudem Vertrauen in die Arbeitnehmer. Auch wenn sich dieses ­bei der grossen Mehrheit als gerechtfertigt erwiesen hat, gibt es Einzelfälle, in denen es gründlich missbraucht wurde: Angestellte sahen nebenbei Netflix oder erledigten Hausarbeiten, Videokonferenzen wurden mit Verweis auf technische Probleme geschwänzt. So mancher Unternehmer war deshalb froh, als die gesetzlichen Pflichten fielen und er seine Angestellten wieder an die Schreibtische beordern konnte.
Nur: Viele Angestellte wollen das gar nicht mehr, sie haben sich in der neuen Situation gut eingerichtet, und das nicht nur, weil der Kaffee zu Hause besser schmeckt. Laut einer Umfrage von Ivanti wollen gar nur 13 Prozent der Deutschen im früheren Vollumfang wieder an ihren festen Arbeitsplatz zurückkehren.
Hybrides Arbeiten – also eine Mischung aus Home Office und Präsenz in der Firma – befürworten dagegen die meisten. Hier ist die Konsensfindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Gebot der Stunde. Das gilt auch für die Arbeitnehmer unter sich, denn an Bürotagen werden jene auf­einandertreffen, die eigentlich lieber weiter zu Hause wären, und jene, für die eine Präsenz am Firmenschreibtisch die Erfüllung ihrer beruflichen Perspektive ist.
Solche Konflikte werden wir im Rückblick wohl mit einem Lächeln sehen können, wenn wir uns im hybriden «New Normal» eingerichtet haben. Es ist zumindest nicht so gekommen wie in China: Wenn dort kein Home Office möglich war und, wie jüngst in Shanghai, eine strikte pandemiebedingte Ausgangssperre herrschte, wurde nicht das Heim zum Büro, sondern das Büro zum Heim. Denn in vielen Firmen wohnten Angestellte am Arbeitsplatz in provisorischen Schlafsälen teilweise wochenlang unter wenig menschenwürdigen Bedingungen.

Boris Boden
Autor(in) Boris Boden


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