Tests 10.01.2011, 08:20 Uhr

Test: Entdeckerspiel Minecraft

Klotzen ohne zu kleckern - so lautet das Motto des Top-Spiels des Jahres 2010: Minecraft.
Spass am Bauen: Stein für Stein entstehen Häuser, Höhlen oder Konstruktionen
Wenn jedes Jahr seinen überraschenden Indie-Hit hat (2008: Braid, 2009: Plants vs. Zombies), dann steht 2010 im Zeichen von Minecraft. Und man kann mit einiger Berechtigung sagen, dass dieses Download-Päckchen zwischen all den Call of Dutys, Gothics und Starcrafts das beste Spiel des Jahres ist. Das Kleinprojekt des Schweden Markus Persson wuchs durch Mund-zu-Mundpropaganda zu einem respektablen Untergrunderfolg an: 750'000 Menschen haben für die unfertige Alpha-Version von Minecraft umgerechnet 13 Franken ausgegeben.
Die meisten, die den krude anmutende Klötzchen-Sandkasten ausprobieren, werden zu Missionaren: Sie tragen die Botschaft «Das müsst ihr ausprobieren!» in Foren, Blogs und Gespräche. Die Begeisterung entspringt der Freude darüber, etwas Wundervolles entdeckt zu haben. Und zwar nicht nur im Spiel, sondern durch das Spiel in einem selbst.
Computerspielen wird gewöhnlich abgesprochen, etwas zur Erkenntnis der Welt beizutragen, und man darf sich die Frage stellen: Was soll ich auch aus einem Call of Duty mitnehmen, wo meine Aufgabe ist, hundertfach Menschen zu erschiessen? Aus einem Arcania, in dem ich mich durch Orkhorden schneide?

Computerspiele setzen Mitdenken und Verstehen ...

Computerspiele setzen Mitdenken und Verstehen voraus, sonst gehen sie nicht weiter. Jedes Spiel ist in jeder Sekunde eine Lektion im Problemlösen. Dabei sind gerade die Programme, die ihren Spielern etwas mehr zu trauen, als von A nach B zu laufen, die erfolgreichsten der Welt: Die Sims, das zum Gestalten anregt; Grand Theft Auto, in dem man in der offenen Welt experimentieren kann; World of Warcraft, das die Selbstorganisation von Gruppen fördert.
Ein Hauch von Nichts
Minecraft ist ein solches Spiel, und es ist von allen aufgezählten das Kreativste, weil es seinen Spielern die wenigsten Vorgaben macht. Um genau zu sein: überhaupt keine. Minecraft ist geradezu frech wortkarg, es setzt einen allein und erklärungslos mitten in eine klobige Klötzchen-Landschaft. Kein Tutorial, keine Hilfetexte. Dann steht man da so rum und fragt sich, was man hier soll. Ziemlich schnell findet man heraus, dass man die dicken Quader, aus denen das Terrain besteht, kaputtmachen kann. Also buddelt man eine Schneise ins Terrain und ein Loch in den Boden, in das man hineinfällt und nicht mehr herauskommt. Bis einem einfällt, dass man sich ja eine Treppe aus dem Boden brechen kann, um wieder an die Oberfläche zu steigen. Die abgebauten Blöcke verschwinden nicht, sondern landen im Inventar, und sie lassen sich zurück ins Gelände stellen. So türmt man probeweise ein Podest auf, springt darauf und schaut sich um.

Aus seinen Blockbausteinen türmt Minecraft ...

Aus seinen Blockbausteinen türmt Minecraft eine durchaus hübsche, überraschend vielfältige Landschaft auf: klobige Berge, eckige Wolken und eine viereckige Sonne. Wälder säumen die Hügelketten, in den Wänden führen Höhlen hinab in dunkle Tiefen, denn der gesamte Boden ist durchzogen von Höhlen, durch die unterirdische Flüsse plätschern und Lavaströme sich wälzen.
Die Monster kommen
Über die Oberfläche ziehen Tierherden, in der Ferne locken neue Regionen: Meere, Savannen, verschneite Bergkuppen, Sandwüsten mit Kakteen. Man fühlt sich wie Robinson Crusoe auf der einsamen Insel: Was mag hinter dem nächsten Hügel liegen? Welche Geheimnisse birgt diese farbenfrohe Welt? Genau wie in Robinson Crusoe geht es auch in Minecraft ums Überleben, denn nachts tauchen Monster in der Welt auf, die schutzlose Abenteurer zerfleischen. Wer überleben will, muss Vorkehrungen treffen, neugierig sein und lernen.

Minecraft ist ein Entdeckerspiel Die Welt, die ...

Minecraft ist ein Entdeckerspiel
Die Welt, die so simpel anmutet, erweist sich als überraschend komplex. Denn die Blöcke der Landschaft lassen sich nicht nur abtragen und zurücksetzen, sondern im Inventar auch neu kombinieren. So entstehen Gerätschaften. Aus Holzstämmen werden Planken, aus Planken Stangen, aus Planken und Stangen wiederum Schaufeln, Hacken oder Schwerter. Mit einer Holzhacke lässt sich Stein zerklopfen, aus Stein entsteht ein besserer Kopf für die Hacke, nun werden Kohleflöze und Erzadern erreichbar. Wer Kohlefackeln wickelt, kann sich ins Dunkel der Erde hinabwagen und findet tief unten neue Rohstoffe sowie Gold und Diamanten. Doch durch die Höhlen geistern Zombies und Skelette, deshalb sollte man ein Schwert und eine Rüstung gebaut haben.
Die Sogkraft von Minecraft liegt darin, dass es einen kreativen Strom im Spieler entfesselt, den viele gar nicht in sich vermutet hätten. Wie auch, wenn sie ihn aus keinem anderen Spiel kennen. Jede Entdeckung führt in Minecraft zu neuen Möglichkeiten, und weil das Spielprinzip so simpel ist (letztendlich gehts immer ums Umbauen von Blöcken), erscheint alles umsetzbar. So führt eine Idee zur nächsten, und auf einmal hat man einen ungeheuren Spass am Gestalten. Wer am ersten Spieltag anfängt, bei Einbruch der Nacht panisch eine schützende Höhle aus dem Fels zu hauen oder vier Wände um sich herum zu ziehen, der macht an Tag 2 die Erfahrung, dass ihn die krude Behausung zwar völlig vor den Monstern schützt, ihm aber trotzdem nicht ausreicht. Denn wer ein Haus hat, möchte auch eine Tür, ein Fenster, ein Dach haben. Oder einen zweiten Raum. Mit einem Keller. Dessen Wände man mit Holz auskleidet. Ein Turm wäre nicht schlecht. Aber der Turm von Tag 4 ist, mit den Augen aus Tag 10 betrachtet, erbärmlich. Inzwischen könnte man ihn grösser, effizienter bauen, mit neuen Materialien. Also wird er umgestaltet.
Mit der Kraft der Kreativität frisst sich die Zivilisation in eine unberührte Welt, in der jeder Minecraft-Spieler seine eigenen Geschmack erprobt und, wie nebenbei, verfeinert. Minecraft hat kein Ziel. Die Herausforderungen setzt sich jeder Spieler selbst.

Was langweilig klingt, erweist sich als krachende ...

Was langweilig klingt, erweist sich als krachende Hymne für die Kraft der Kreativität: Wer sich um zwei Uhr nachts zwingen muss, ins Bett zu gehen, statt den Minenschacht voranzutreiben, der hat etwas sehr Wertvolles über die eigene Schöpfungsgabe gelernt. Wer sich selbst erreichbare Ziele setzt, der verfolgt dieses Aufgabe mit jener Motivation, die man im Alltag, bei Hausaufgaben oder dröger Routinearbeit verloren geglaubt hat. Minecraft ist die Essenz eines exzellenten Spiels: Es stellt sein einfaches Grundprinzip in den Dienst konstruktiven (statt destruktiven) Denkens, steckt mit wenigen, klaren Regeln den Handlungsspielraum ab und setzt Anreize, die Mechanismen zu einzusetzen. Alles Weitere überlässt es dem Spieler.
Mensch voller Ideen
So wird Minecraft zu einer eindrücklichen Demonstration dafür, welcher Ideenreichtum in jedem Einzelnen von uns sprudelt, wenn man ihm nur eine Möglichkeit zur Entfaltung gibt. Und welchen Stolz man über die eigene Leistung fühlen kann. Minecraft ist ein Bastelspiel, eine Werkstatt, ein Experimentierlabor. Mit den fortgeschrittenen Elementen, die man später entdeckt (Sprengstoff, Schienensysteme, elektrische Leitungen), bauen Spieler Katapulte, Abschussrampen, Binärcomputer, automatische Verladebahnhöfe. Alles aus dicken, quadratischen Blöcken.
Background
Zum Erstellungszeitpunkt dieses Artikels war Minecraft noch im Alpha-Stadium. Seit dem 20. Dezember 2010 befindet es sich in der Beta-Phase; dabei stieg der Preis auf umgerechnet rund 19 Franken. Dass Minecraft in regelmässigen Abständen um neue Inhalte erweitert wird, trägt in jedem Fall zur Langzeitmotivation bei.
Auch für 19 Franken ist Minecraft eine uneingeschränkte Empfehlung, insbesondere im Vergleich zu Vollpreistiteln wie Call of Duty. Weit über 100 Millionen US-Dollar hat Activision in Black Ops investiert, um ein Spiel zu erschaffen, das seine Käufer für sechs Stunden zerstreut. Man muss froh sein, dass es Ein-Mann-Projekte wie Minecraft gibt, die zeigen, dass Computerspiele so viel mehr sein können als nur das.
Als Endversion wird Minecraft 25 Franken kosten.
Das Game wurde von unserer Schwesterzeitschrift GameStar getestet.



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