Tests 15.08.2013, 11:20 Uhr

Bewegungssteuerung Leap Motion im Fuchteltest

Irgendwann einmal werden wir vermutlich Computersysteme mehrheitlich mit Gesten steuern. Die Bewegungssteuerung Leap Motion will dies bereits heute ermöglichen. Ist es die versprochene Revolution oder doch bloss eine unausgereifte Spielerei?
Im Mai 2012 sorgte ein Start-up aus San Francisco mit einer geradezu revolutionär anmutenden Idee für viel Aufsehen in der Branche. Eine kleine, unscheinbare Box namens Leap Motion sollte mithilfe einfachster Technologie eine unglaublich präzise Bewegungssteuerung im leeren Raum ermöglichen. Gut ein Jahr danach ist die Vision Realität geworden und Tausende von Leap-Motion-Controllern wurden bereits in alle Welt ausgeliefert. Zum Preis von nur rund 80 US-Dollar kann man sich das futuristische Computer-Gadget aus den USA bestellen. Wer sich den Import sparen will, kann das Gerät in der Schweiz für 129 Franken bei Digitec ordern, die uns freundlicherweise auch das Testgerät zur Verfügung stellten.
Zeit also zu klären, ob Leap Motion die hohen Erwartungen erfüllen kann und tatsächlich Maus und Tastatur in Pension schickt.
Unscheinbares Kästchen
Kaum grösser als ein USB-Stick: der Leap Motion Controller
Leap Motion wird in einer kleinen Schachtel geliefert, kaum grösser als die Verpackung eines Smartphones. Wer im Innern ein abgespactes Hightech-Gadget erwartet, wird enttäuscht. Stattdessen starrt man auf ein kleines Kästchen, das genauso gut als gewöhnlicher USB-Stick durchgehen könnte. Zwei USB-Kabel liegen ebenfalls bei, das wars aber auch schon mit dem Lieferumfang.
Der Controller wird einfach irgendwo auf dem Tisch platziert
Von der offiziellen Webseite laden wir rasch die rund 60 MB grosse Windows-Software herunter (auch für Mac erhältlich) und installieren diese auf unserem Test-PC. Damit wird gleichzeitig auch ein Programm namens Airspace installiert. Hier verwalten wir unsere Apps und greifen auf den Airspace Store zu, einen App Store mit speziell für Leap Motion entwickelten Anwendungen. Dazu später mehr.
Die Inbetriebnahme ist denkbar einfach: Der Controller wird einfach über das USB-Kabel am PC oder Laptop angeschlossen und irgendwo auf dem Tisch platziert – dies kann vor oder auch hinter der Tastatur sein, sollte aber in Reichweite der Hände liegen, denn der virtuelle Raum, in dem wir unsere Hände zur Steuerung bewegen können, ist begrenzt.
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Fuchteln im virtuellen Raum

Fuchteln im virtuellen Raum
Aber wie funktioniert Leap Motion überhaupt? Der Controller tastet den Raum über sich mittels Infrarotsensoren und Kameras ab und ermöglicht so eine äusserst präzise Erfassung unserer Hände. Er ist in der Lage, jeden Finger einzeln zu erkennen, ebenso wie die Ausrichtung unserer Hände. Damit sind eine Vielzahl von verschiedenen Gesten mit unterschiedlicher Fingerzahl oder auch Drehbewegungen möglich. Die Verzögerung zwischen Bewegung und Umsetzung auf dem Bildschirm ist im Bereich von Millisekunden, also nicht wahrnehmbar.
Nach der Installation macht uns ein kleines Programm mit den Möglichkeiten vertraut. Wir bewegen unsere Hände im freien Raum über dem Leap Motion Controller und bringen damit fliegende Leuchtpartikel auf dem Bildschirm in Bewegung. Nach dieser kurzen Einführungsspielerei werden wir aufgefordert, einen Account für den Airspace Store zu erstellen. Den brauchen wir zwingend, denn ohne Apps geht mit dem Leap Motion Controller gar nichts. Zum Testzeitpunkt zählten wir 87 Apps im Store – das ist nicht gerade berauschend, zumal nur rund die Hälfte davon für Windows respektive für Mac OS X sind. Die Mehrheit der Apps sind zudem kostenpflichtig und für 99 Cent bis 9.99 US-Dollar zu haben. Gerademal 17 kostenlose Windows-Apps haben wir gezählt.
Im Airspace Store finden wir für Leap Motion optimierte Apps - allerdings (noch) nicht allzu viele
Unter den Apps finden sich einige, die nicht mehr als grafische Spielereien sind, um zu zeigen, was mit Leap Motion möglich ist. Auch ein paar Spiele findet man, beispielsweise die bekannten Mobile-Games Cut the Rope oder Fruit Ninja. Und natürlich gibt es auch einige produktive Apps, die versuchen, die Bewegungssteuerung sinnvoll zu adaptieren.
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Windows steuern mit Leap Motion

Windows steuern mit Leap Motion
Die wichtigste App – die seltsamerweise nicht bereits vorinstalliert ist – hört auf den Namen «Touchless for Windows» – ein Pendant für Mac ist ebenfalls vorhanden. Erst die Installation dieser App ermöglicht grundlegende Interaktionsmöglichkeiten mit der Windows-Oberfläche. Die App funktioniert grundsätzlich auch mit Windows 7, macht aber unserer Meinung nach erst im Zusammenspiel mit der Kacheloberfläche von Windows 8 richtig Sinn. Einmal installiert, können wir über ein Symbol in der Taskleiste die Leap-Motion-Steuerung aktivieren. Es stehen zwei Modi zur Verfügung: Basic und Advanced. Letztere bietet noch etwas mehr Interaktionsmöglichkeiten. Grundsätzlich lassen sich mit Leap Motion folgende Aktionen in der Luft vollführen: Der Cursor lässt sich bewegen, man kann klicken, scrollen (horizontal und vertikal) sowie zoomen. Für Letzteres bewegt man zwei Finger (entweder derselben oder beider Hände) voneinander weg oder zueinander hin, wie man das von Touchscreens kennt.
Für die Windows-Steuerung wird der virtuelle Raum in zwei Zonen eingeteilt
In einer kurzen Einführung nach der Installation der App wird uns erklärt, wie die Steuerung funktioniert. So wird der Raum über dem Controller in zwei Bereiche aufgeteilt. Vor dem Controller befindet sich die sogenannte «Hover Zone» – bewegt man die Hand resp. den Finger in diesem Bereich, bewegt man nur den Cursor. Bewegt man die Hand aber weiter nach hinten, kommt man in die «Touch Zone» – auf einem Touchscreen würde dies nun einer Berührung gleichkommen. In diesem Bereich interagiert man also effektiv mit der Benutzeroberfläche, z.B., um einen Klick auszuführen. Der Cursor auf dem Bildschirm hat die Form eines Kreises, der kleiner wird, je weiter man sich der Touch Zone nähert. Wir der Kreis grün, signalisiert das einen Klick resp. das Erreichen der Touch Zone.
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Angestrengte Luftakrobatik

Angestrengte Luftakrobatik
Soweit die Theorie. In der Praxis ist einiges an Übung nötig, um einigermassen sicher und schnell zu navigieren. Dann aber geht das Navigieren, zumindest auf der Kacheloberfläche von Windows 8 und in Apps, relativ gut von der Hand. Alle wichtigen Bedienelemente sind über Gesten erreichbar. Und dennoch: Das Herumfuchteln in der Luft kann ganz schön anstrengend sein. Vor allem gilt dies, weil die Gesten, insbesondere, was das Anklicken von Schaltflächen oder Icons betrifft, doch einiges an Präzision erfordern. Was auf der Modern-UI-Oberfläche von Windows 8 noch funktioniert, wird im Desktop dann endgültig zur Qual. Nein, im Windows-Explorer navigieren oder Dateien verschieben, das möchte man wirklich nicht mit Leap Motion machen. Aber dafür ist es auch nicht gedacht. Die Entwickler sehen Leap Motion viel mehr als Ergänzung zu den klassischen Eingabegeräten.
Und als solche hat das Gadget durchaus seinen Reiz. Am besten geeignet schien uns Leap Motion, um beispielsweise im Internet zu surfen. Ein mögliches Anwendungsszenario sieht etwa so aus: Notebook auf dem Couchtisch, wir auf dem Sofa, Leap Motion Controller neben uns auf dem Sofa. In entspannter Haltung mit einem Fingerzeig durch Webseiten blättern, das hat schon was.
Bei Boom Ball müssen wir den Ball mit einem virtuellen Schläger im Spiel halten
Auch in einzelnen Apps haben wir Spasspotenzial geortet. Beispielsweise im Spiel «Boom Ball», einer Art dreidimensionalen Version des Spieleklassikers «BrickBreaker», bei dem wir mit einem Ball farbige Blöcke zerstören und den Ball dabei mit einem «Schläger» im Spiel halten müssen. Dabei bewegen wir den Schläger mit blossem Finger und müssen Reaktionsschnelligkeit beweisen. In anderen Spielen funktioniert die Steuerung aber mehr schlecht als recht. In Cut the Rope beispielsweise sollte man eigentlich nur Seile mit dem Finger durchschneiden, doch weil dies oft erst beim x-ten Anlauf gelingt, will kein Spass dabei aufkommen.
Auch in anderen Anwendungen erweist sich die Bewegungssteuerung zum Teil als sehr, sagen wir mal, anspruchsvoll. Google Earth unterstützt Leap Motion zwar theoretisch von Haus aus, jedoch ist es uns nicht gelungen, mit den Händen auch nur halbwegs die Kontrolle über den Erdball zu erlangen – die Steuerung reagiert viel zu sensibel und es war uns unmöglich, gezielt zu einem bestimmten Punkt zu navigieren. Nach einigen Minuten erfolgloser Versuche, die Steuerung zu zähmen, haben wir es entnervt aufgegeben.
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Seiner Zeit voraus

Leap Motion ist seiner Zeit voraus
Leap Motion, das ist also Licht und Schatten. Auf der einen Seite eine futuristisch anmutende und beeindruckend akkurate Technologie zu einem für jeden erschwinglichen Preis. Und ein Potenzial, das von einzelnen Apps und in bestimmten Anwendungsszenarien zumindest angedeutet wird.
Auf der anderen Seite aber auch die Erkenntnis, dass diese Art der Steuerung wohl zumindest mittelfristig weder Tastatur und Maus noch Touchscreens ersetzen wird. Dies hat einen einfachen Grund: Die dritte Dimension eröffnet zwar Leap Motion ganz neue Möglichkeiten, macht das Ausführen von gezielten Bewegungen aber auch wesentlich anspruchsvoller und anstrengender, zumal wir im leeren Raum keinerlei physischen Anhaltspunkte haben. Der Touchscreen aber ermöglicht es uns dank seiner physischen Oberfläche, viel direkter und unmittelbarer mit der Nutzeroberfläche zu interagieren. Diese Art der Bedienung erscheint uns deshalb grundsätzlich wesentlich intuitiver als das etwas orientierungslose Herumgefuchtel in der Luft.
Windows (und auch alle anderen gegenwärtigen Computerbetriebssysteme) basieren auf einer zweidimensionalen Benutzeroberfläche. Diese ist für den Einsatz von zweidimensionalen Eingabegeräten wie der Maus konzipiert. Wenn wir Windows mit Leap Motion steuern, versuchen wir eigentlich nichts anderes, als zweidimensionale Touch-Gesten in einem dreidimensionalen Raum auszuführen. Die zusätzliche Dimension kommt uns hier nicht entgegen, sondern erschwert im Gegenteil die Präzision. Um eine effiziente und komfortable Steuerung im dreidimensionalen Raum zu ermöglichen, müsste man ein Betriebssystem von Grund auf dafür konzipieren. Oder anders gesagt: Leap Motion ist seiner Zeit wohl einfach voraus.
Aus diesem Grund – und auch, weil momentan einfach noch zu wenig sinnvolle Apps und funktionierende Implementierungen existieren – ist Leap Motion im Moment nicht mehr als eine nette Spielerei, die uns einen Vorgeschmack darauf gibt, wie wir vielleicht dereinst mehrheitlich mit Computersystemen interagieren werden.
Fazit: Eine beeindruckende Technologie, der es aber noch an guter Software und sinnvollen Anwendungen fehlt. Es bleibt zudem die Erkenntnis, dass Windows und Co. für diese Art der Bedienung noch nicht reif sind. In seiner jetzigen Form kann Leap Motion weder Maus und Tastatur noch den Touchscreen ersetzen. Als witzige Ergänzung für experimentierfreudige Gadget-Freaks ist das Gerät dennoch eine Empfehlung wert, zumal es auch nicht die Welt kostet.

Testergebnis

Beeindruckende Technologie und Präzision, einfache Einrichtung, Preis
Anstrengende Bewegungssteuerung, wenig Apps, kann andere Eingabegeräte nicht ersetzen

Details:  Bewegungssteuerung mit Infrarotsensoren und Kameras, USB 2.0, inkl. zwei USB-Kabel, ab Windows 7 oder Mac OS X 10.7, ca. 80 x 30 x 12,7 mm, 32 g

Preis:  Fr. 129.-

Infos: 
www.leapmotion.com

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