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14.08.2000, 11:00 Uhr
.sex, .shop, .sucks oder was?
Die «Internetregierung» ICANN gibt sich demokratischer als sie ist.
.sex, .geo, .shop oder .radio - das ist die Frage! Der Ausbau der Top-Level-Domains (TLD) läuft auf Hochtouren, seit sich die Internetbehörde ICANN[1] (International Corporation for Assigned Names and Numbers) mitte Juli definitiv dafür ausgesprochen hat. Das heisst: Die TLDs ".com", ".org", ".edu" und ".net" bekommen Gesellschaft. Vom 5. September bis am 2. Oktober können Vorschläge eingereicht werden, bis am 19.Oktober werden sie der Öffentlichkeit unterbreitet. Im November will ICANN die endgültige Auswahl treffen.
Noch ist die Zahl der neuen TLDs nicht bekannt, es darf aber mit rund einem halben Dutzend gerechnet werden. Im Vorfeld sind bereits 29 Vorschläge gemacht worden[2]. Sie reichen von .geo, das auf geographischen Koordinaten basieren soll, über .biz und .shop, die den .com-Bereich erweitern, bis zu .sucks, das für parodistische und kritische Inhalte eingesetzt würde. Wenn alles nach Zeitplan läuft, sind im Frühjahr die ersten Registrierungen bei den neuen Domains möglich.
Wie die neuen TLDs am Schluss auch heissen: Wer einen Vorschlag einreicht, muss zuerst 50 000 Dollars hinblättern - Unkostenbeitrag sozusagen. Das ruft Kritik auf den Plan: Nicht jede Person, jedes Unternehmen oder Organisation hat diesen Batzen auf der Seite, für Nonprofit-Organisationen oder weniger solvente Unternehmen aus ärmeren Ländern dürfte diese Regel sogar eine unüberwindbare Hürde bedeuten. Diese Ausscheidungen werden somit klar von kommerziellen Interessen geleitet, obwohl ICANN im Oktober 1998 von der US-Regierung als nicht-kommerzielle, internationale Domainverwalterin ins Leben gerufen wurde.
Noch ist das ICANN-Gremium nicht vollzählig: Anfangs Oktober wählen Online-Bürger bei der ersten internationalen Cyberwahl aus 18 von ICANN nominierten Bewerbern fünf "Directors", Stellvertreter für jede Region auf der Erde. (Die Schweizerin Maria Livanos Cattaui, Generalsekretärin der Internationalen Handelskammer ICC, ist eine von fünf Kandidatinnen aus Europa). Damit soll der Einfluss der US-Amerikaner auf die "Internet-Regierung" verringert werden.
So demokratisch sich dieser Prozess zur Gestaltung dieser Nicht-Regierungsorganisation auch gibt: Er ist es nicht. So ist beispielsweise nicht jeder im Oktober wahlberechtigt, sondern nur, wer sich bis ende Juli bei ICANN als "Mitglied" registrieren liess. - Glücklich darf sich also schätzen, wer im Vorfeld Wind davon bekam! 158 000 Surfer und Surferinnen haben sich dennoch registriert: 93 782 Asiaten und Australier, 21 596 US-Amerikaner, 35 942 Europäer (davon 1879 Schweizer), 6486 Lateinamerikanische Surfer und - 787 Bewohner Afrikas. Das macht einen zweiten Schönheitsfehler deutlich: Nur wer "online" ist, kann bei dieser demokratischen Cyberwahl mitmachen, die reale Auswirkungen haben wird - auch auf "Offliner".
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