Tests 01.11.2017, 10:21 Uhr

Windows Mixed Reality im Test: VR für die Masse?

Mit «Mixed Reality» will Microsoft VR-Erfahrungen für das breite Publikum möglich machen. Erhältlich ist bis jetzt nur Medions Erazer MR Glasses X1000. Ein ausführlicher Test.
Ein gelungener Start sieht anders aus. In Microsofts Medienmitteilungen hat es bisher immer so geklungen, als würden zum Fall Creators Update von Windows 10 und der neuen Mixed-Reality-Plattform auch sämtliche Windows-VR-Brillen der Hardware-Partner verfügbar sein. Der Vorteil der Plattform liegt in der einfachen Einrichtung ohne zusätzliche Sensorstäbe oder Laserstationen. Die Realität sieht aber «gemixt» aus. Nicht einmal Acer oder HP konnten uns frühzeitig mit einem Testsample beliefern. Es kommt noch besser: Die Dell Visor beispielsweise kommt gemäss Hersteller nicht in die Schweiz und die technisch bessere Samsung Odyssey mit Amoled-Display ist vorerst nicht für Europa vorgesehen. Die Lenovo Explorer will man vorerst nicht in grossen Stückmengen auf den Markt lassen und Acers Variante scheint noch nicht lieferbar zu sein. Ausserdem liefert HP nun erst Mitte November in die Schweiz.
Wo bleibt die Hardware? Die meisten Hersteller liefern (noch) nicht
Da erstaunt es nicht, wenn auch die Onlinehändler verunsichert sind, ob und welche Produkte sie aufnehmen sollen. Die frühen Gehversuche von Microsofts magerer Mixed-Reality-Plattform überzeugen jedoch grösstenteils. So ist zumindest die Medion Erazer X1000 MR inzwischen bei Onlinehändlern wie digitec.ch bereits an Lager. Dank der Unterstützung des Herstellers mit einem Testgerät konnten wir nun endlich Windows Mixed Reality in der finalen Version einmal ausführlich austesten und auch Inhalte direkt mit der HTC Vive und Oculus Rift vergleichen.
X1000 MR Glasses: Medion ist bisher der einzige Hersteller mit einem MR-Headset für 499 Franken auf dem Schweizer Markt

Microsofts Marketing-Unding

Nun, was ist denn eigentlich «Mixed Reality»? In Wahrheit steht der Begriff für die Verschmelzung von Augmented und Virtual Reality. Für den professionellen Einsatz hat Microsoft seine HoloLens für sogenannte Augmented Reality im Programm, über die gleichzeitig die reale Umgebung sichtbar bleibt. Nach Definition der Microsoft-Marketing-Abteilung bewegten sich aber alle VR-Headsets in der Mixed Reality, die über Positionstracking-Elemente verfügen, auch wenn diese keine Objekte der realen Umgebung in die VR bringen, also beispielsweise ein anderes Sofa oder einen anderen Stubentisch. Klare Grenzen zieht jedoch Microsoft bei VR-Gestellen für Smartphones, die über keine Möglichkeit verfügen, den realen Raum zu erfassen. Somit würden, streng genommen, auch HTC Vive, PSVR und Oculus Rift in die Kategorie der MR-Headsets fallen. Ein ziemliches Durcheinander also, das da Microsoft mit einem neuen Begriff stiftet.
Mit Windows Mixed Reality will Microsoft VR erschwinglicher machen, die Headsets sind aber noch vergleichsweise teuer

Guter Tragekomfort

Medion zufolge ist die Erazer MR Glasses X1000 für rund 500 Franken im Prinzip identisch mit der Lenovo Explorer. Tatsächlich verfügt die kompakte und nur 380 Gramm leichte Brille über denselben Klappmechanismus. Das ist praktisch: Man kann den vorderen Teil jederzeit um 90 Grad nach oben klappen, um etwas aus der realen Umgebung zu erspähen. Rein technisch spielt es übrigens keine Riesenrolle, mit welchem MR-Headset man unterwegs ist. Bis auf Samsungs Odyssey sind alle MR-Brillen mit derselben Technik ausgerüstet. Unterschiede gibt es da eher beim Tragekomfort. Medions Helm sitzt aber ziemlich gut.
Medions MR Glasses wird wie eine PSVR mit rückseitiger Stellschraube auf dem Kopf «montiert»
Quelle: nmgz

Ein Helm für die Virtualität

Angeschnallt wird der Helm über eine Stellschraube und getragen wie eine PlayStation VR. Auch die Polsterung des Kopfgürtels ist bequem. Zu unserem Erstaunen passt man auch mit einer breiten Brille noch knapp rein, ohne die Gläser des Headsets zu berühren. Als Brillenträger hat man nur einen Nachteil: Aufklappen von unten kann gefährlich sein, weil das zu stark auf die Bügel drückt. Ausserdem drückt es unter Umständen mit einer Sehkorrektur etwas stärker auf die Nase, denn genau dort ist eine leichte Engstelle. Ansonsten gefällt mir persönlich die Polsterung und die eher neutrale Verarbeitung – ohne zu krasse Schriftzüge und leuchtende Farben.
Der Aufklappmechanismus der MR-Headsets ist praktisch, aber nichts für Brillenträger

Kein Augenabstandsregler

Was man leider nicht bei allen MR-Units und auch bei Medion nicht vorfindet, ist ein physischer «IPD»-Regler, um die Augenabstände der Linsen einzustellen. Warum kann das ein Manko sein? Wer noch nie eine VR-Brille getragen hat oder dies zum ersten Mal tut, wird schnell feststellen, dass es einen gewissen «Sweetspot» im VR-Sichtspektrum gibt. Denn sobald sich die Pupillen nicht im Zentrum der beiden Displays befinden, wird man unter Umständen auf einem Auge ständig ein wenig unscharf sehen. Das kann auf die Dauer Kopfschmerzen verursachen, wenn man das Headset sehr lange trägt. Etwas Fein-Tuning der IPD offerieren zum Glück die Windows-Einstellungen per Software.
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Controller, Systemanforderungen, Einrichtung

Das Ding mit dem Ring

Die mit einem LED-Ring versehenen Referenz-Controller erinnern an eine Mischung aus Oculus Touch und HTC Vive. An beiden Griffen gibt es einen Windows- und einen seitlichen Button, dazu auf beiden Einheiten einen Zeigefinger-Trigger-Knopf und auf beiden Vorderseiten ein klickbares Touchpad sowie einen Analogstick und eine Menütaste. Die Controller überzeugen, bis auf ein paar Details. Sie liegen leicht in den Händen und der seitliche Knopf geht nicht so auf die Fingermuskeln wie bei den Vive-Controllern.
Der elastische Ring mit den Tracking-LEDs ist wohl nichts für hitzige VR-Gefechte
Quelle: nmgz
Der Nachteil: Man braucht für beide Controller je zwei Triple-A-Batterien, und die können schon nach acht bis zehn Stunden leergelutscht sein. Wiederaufladbare Akkus und ein Ladegerät gehören also schon einmal zum Pflichtkauf. Was man sonst noch leicht kritisieren kann, ist die etwas elastische Konstruktion des Tracking-Rings. Wenn ich mir vorstelle, wie oft ich schon mit meinen Vive-Controllern auf eine Wand eingeschlagen habe, bleibt da bei einer Kollision nicht viel übrig. Allerdings wird man bei der Bewegung im freien Raum auch nicht viel weiterkommen als bei einer HTC Vive.
Ein Nachteil: Die Controller benötigen zwei Triple-A-Batterien
Quelle: nmgz

Systemanforderungen

Verwirrend sind die Systemanforderungen zu Windows Mixed Reality. Als minimale Anforderung nennt Microsoft einen sparsamen Intel Core i5 7200U (Dual-Core) der siebten Generation, 8 GB DDR3-RAM, dazu entweder eine integrierte Intel HD Graphics 620 oder eine dedizidierte DirectX-12-Notebook-Grafikkarte ab Nvidia GeForce GTX 965M. Sowohl wir als auch Medion glauben nicht, dass für die absolut niedrigsten Anforderungen nur eine Intel-Grafiklösung (HD Graphics 620) ausreicht. Wir wollen ja nicht Tetris in der VR spielen. Für grafisch aufwendige Spiele reicht das jedenfalls nicht, vor allem nicht für eine Headset-Framerate von 90 Hz. 60 Hz ist einfach nichts! Davon wird Ihnen in grafisch fordernden Experiences eher übel. So überrascht es auch nicht, dass Microsoft bei den höheren Anforderungen zu ähnlicher Hardware wie bei der Oculus Rift und HTC Vive rät. Eine Nvidia GeForce GTX 960 oder eine AMD RX 460 gehören da jedenfalls mindestens zur Grundausrüstung.
Die Systemanforderungen sind nicht gerade moderat für besseres VR mit 90 Hz
Quelle: PCtipp

Einfache Einrichtung, wenn alles klappt

Die eigentliche Einrichtung ist sehr simpel. Zwingend notwendig ist das neuste Update von Windows 10 (Fall Creators Update). Wer einen stationären PC sein Eigen nennt, sollte zudem für die VR-Controller einen Bluetooth-4.0-fähigen USB-Dongle bereithalten. Ein solcher befindet sich nicht im Lieferumfang. Wenn das Setup mit der Mixed-Reality-Portal-App zickt und die Brille kein Signal ausgibt, kann das verschiedene Ursachen haben. Wichtig ist ausserdem die Wahl eines USB-3.0-Ports. Mit dieser App kann man seinen PC auf die Anforderungen prüfen.
Je nach System kann die Einrichtung auch einmal zicken. Und dann sucht man den Fehler
Quelle: PCtipp
Ausserdem sollten natürlich idealerweise auch Chipsatz- und Grafikkartentreiber auf dem neusten Stand sein. Bei unserem Desktop-System wollte eine Nvidia GeForce GTX 980 Ti Strix von Asus das Headset-Signal nie richtig ausgeben, wenn gleichzeitig ein Zweitmonitor via DisplayPort in Betrieb war. Das kann eine Ausnahme sein. Offenbar hatten schon Entwickler vereinzelt Probleme mit GTX-980-Ti-Karten auf der Mixed-Reality-Plattform, während es beispielsweise mit der GTX 1080 keine Probleme gibt. Manchmal können auch zu viele USB-Gerätschaften an den Ports Komplikationen bereiten.
Das Headset ist nur auf einen HDMI-1.4- und einen USB-3.0-Anschluss angewiesen
Quelle: nmgz

Virtuelle Gitterwände

Bei der Einrichtung wählt man, ob man nur sitzen will oder sich im Raum mit mehreren Quadratmetern bewegen möchte. Microsoft empfiehlt eine Raumgrösse von 2 × 1,5 m. Dazu hat auch das Kabel mit ca. 3,8 Metern gerade noch gereicht. Wie bei anderen Headsets streckt man den VR-Helm mit der Fisheye-Kamera hier zuerst in Richtung des Bildschirms und begeht die virtuellen Grenzlinien. In der VR werden dann Grenzen auch wie Matrix-Gitterwände eingeblendet. Offenbar ist es wichtig, dass der Raum nicht völlig abgedunkelt ist, weil sonst die Kamera die Umgebung nicht richtig erfasst und das Mixed-Reality-Portal ständig wieder zur Neueinrichtung auffordert.
Bei der Einrichtung wählt man zwischen einer Sitzposition oder einem «VR-Raum»
Quelle: PCtipp
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Tracking und Ergonomie, Fazit

Tracking und Ergonomie

Bei einer Pro-Augen-Auflösung von 1400 × 1400 Pixeln haben die Windows-MR-Lösungen zwar die Nase leicht vorn (bei HTC Vive und Oculus Rift sind es 1200 × 1080 Bildpunkte), jedoch nicht bei der Display-Technik. Im Gegensatz zu den OLED-Panels der Oculus Rift und HTC Vive setzen WMR-Headsets (bis auf die Variante von Samsung) auf normale LCD-Panels. Normalerweise ist OLED in der VR immer die erste Wahl, weil dadurch bessere Schwarzwerte sowie sattere Farben möglich sind und weniger Schlieren auftreten. Allerdings sollen wesentliche Verbesserungen der LCD-Technik wie das sogenannte «Impulse Backlighting» diesen Schlierenbildungen entgegenhalten. Wir sind erstaunt, dass die Bildqualität insgesamt bei Medion doch recht gut ausfällt, selbst die üblichen seitlichen Lichtschimmer, die man auf den Fresnel-Linsen erwarten würde, waren nicht allzu sehr präsent.
Das geringere Sichtfeld macht sich jedoch bei horizontalen Kopfbewegungen bemerkbar, wenn man zum Beispiel in dem Drohnen-Shooter «Space Pirate Trainer» schnell in einer 180-Grad-Kopfbewegung von der einen Seite zur anderen schaut. Wie soll man das beschreiben? Man hat dann so eine Art leichten Tunnelblick, als hätte man ein paar Biere zu viel getrunken. Bei der Farbgenauigkeit kommt das MR-Headset auch nicht ganz an die guten Schwarzwerte der OLED-Konkurrenz heran. Beim Tracking der Hand-Controller, die gänzlich ohne zusätzliche Sensorstäbe oder Laserstationen auskommen, gibt es schon einen Nachteil: Sobald man die Controller nicht allzu lange im Sichtfeld des Headsets bewegt, verlieren sie nach sieben bis acht Sekunden die Bewegungsverfolgung. In dem Wüsten-Zombie-Shooter «Arizona Sunshine» schwebt dann auf einmal eine Hand irgendwo in der Luft herum. Das kann zeitweise ein bisschen lustig aussehen, aber auch bei zeitkritischen Aktionen zu kleineren Verzögerungen führen.
Das bisherige Angebot im Windows Store fällt mager aus
Quelle: PCtipp

Es mangelt noch an Inhalten

Leider gibt es im Store bis jetzt noch nicht viele nennenswerte Apps. Wer in Microsofts Software-Laden nach «Mixed Reality» sucht, findet gegen 21 Spiele, davon viele, die man schon von der Vive und Oculus her kennt – wie die Unterwassersimulation «theBlu» und ein paar Animationsfilme wie «The Rose and I». Grafisch sehr gut hat eigentlich «Halo Recruit» gefallen, aber viel mehr, ausser ein paar Zielscheibenübungen, hat die kurzweilige Simulation leider nicht zu bieten. Was wir stärker vermissen, sind mehr «echte Anwendungen» wie holografische Zeichnungs- oder Modellierungsprogramme. Bis dahin ist es offenbar noch ein weiter Weg. Trotzdem wird es für Spieler bis Weihnachten spannend, weil bis dann auch Steam VR integriert sein könnte. Die Macher des «Revive Mods» haben ausserdem schon in Aussicht gestellt, dass der Software-Trick für Oculus-Home-Spiele in Zukunft auch auf den Windows-MR-Brillen funktionieren könnte.
Man kann übrigens Medions VR-System zurzeit auch ausprobieren in der neuen eSports Bar eParadise in Zürich Altstetten.

Fazit

Besonders praktisch an den Mixed-Reality-Headsets ist die einfache Einrichtung. Zum Vergleich: Die HTC Vive mit ihren Lighthouse-Tracking-Sensoren kostet gegenwärtig um die 726 Franken, während die Oculus Rift ohne Touch-Steuerung und weitere Sensoren in der Schweiz immer noch rund 500 Franken kostet. So gesehen ist Medions Erazer MR Glasses X1000 zurzeit die günstigste All-in-One-Lösung, auch unter den MR-Headsets. Wir empfehlen aber VR-Neugierigen, noch ein paar Monate zu warten, da es noch nicht viele Inhalte gibt.

Testergebnis

Einfache Einrichtung (ohne weitere Sensoren), Klappmechanismus, Verarbeitung
Kein IPD-Regler, Druckstelle an der Nase, noch wenige Inhalte

Details:  VR-Headset, LCD mit Impulse Backlighting (je 1440 × 1440 Pixel), 105-Grad-Sichtfeld, 2 Kameras zur Bewegungserfassung, 3,5-mm-Klinke, 1 × HDMI, 1 × USB 3.0, inklusive zwei Controller

Preis:  Fr. 499.–

Infos: 
http://www.medion.com/de

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Autor(in) Simon Gröflin



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