Tests 07.11.2018, 11:23 Uhr

Test: Canon EOS R

Eine fast nostalgisch anmutende Kamera lanciert ein zukunftsträchtiges System.
Canon nimmt die spiegellose Bauweise endlich ernst. Mit der EOS R lancieren die Japaner nicht nur eine neue Kamera, sondern ein komplett neues System, mit neuen Objektiven, neuen Features und einem guten Schuss Altbewährtem.

Äusseres und Bedienung

Canon geht mit der EOS R eine Gratwanderung ein. Einerseits wird sich jeder Canon-Nutzer sofort auf der EOS R zu Hause fühlen. Andererseits gibt es genug Neues, das möglicherweise bestehende Nutzer irritieren könnte. Die grundlegende Bauform ist praktisch identisch mit Canon-DSLRs. Besonders aus der Frontansicht verraten nur das «R» und der fehlende Spiegel, dass es sich nicht um eine 6D oder 5D handelt. Die Vorteile sind offensichtlich: Canons Ergonomie ist erprobt und risikofrei. Die Bedienung ist den bestehenden Nutzern bekannt und funktioniert. Der Nachteil: Canon gibt sich selbst keine wirkliche Chance, etwas zu verbessern.
Das heisst nicht, dass alles genau gleich ist. Drei Änderungen gegenüber dem erprobten Canon-System sind besonders nennenswert. Da wäre erstens das neue LCD auf der Oberseite der Kamera. Im Vergleich zu den DSLR-Modellen der gleichen Preisklasse ist das LCD der EOS R ein gutes Stück kleiner. Schlecht ist das aber nicht, denn dank einem sehr aufgeräumten Interface zeigt das LCD immer noch die wichtigsten Informationen gut lesbar an. Es passt sich zudem der aktuellen Aktion an. Dreht man beispielsweise am Modus-Rad, wechselt das Display zu einer grossen Modus-Anzeige.
Ebendieses Rad ist die zweite grössere Änderung beim Body der EOS R. Statt eines kompletten Modus-Rades, verwendet die EOS R ein frei einstellbares Rad mit Modus-Knopf versenkt in der Mitte. Standardmässig wird das Rad für ISO verwendet, kann aber nach Belieben angepasst werden. Erst wenn man den Modus-Knopf drückt, verändert das Rad den Fotomodus. Eine geniale Entscheidung, welche die Modus-Auswahl einfach belässt, aber einer wichtigeren Funktion den Vortritt lässt.
Die dritte grosse Neuigkeit ist der Touch-Bar auf der Rückseite neben dem Sucher. Dieser Touch-Empfindliche Balken erkennt Wischgesten und einfache taps. Wofür man den Balken brauch ist frei wählbar. Beispielsweise zum Durchschalten von Fokustypen oder Belichtungsmessfeldern. Das Hauptproblem des Bars ist jedoch, dass es viel zu einfach ist, etwas unabsichtlich zu verstellen. Wie bei allen Touch-Tasten. Der Bar kann auf Wunsch gesperrt werden und erst bei einem Ein-Sekunden-Druck auf die linke Hälfte des Bars entsperren. Wirklich praktisch ist der Bar so aber nicht mehr. Gerade wenn man per Display fotografiert ist dann das Touch-Display deutlich schneller und einfacher zu verwenden. Am nützlichsten ist der Touch-Balken im Videomodus. Dank dem Touch-Input können Sie so bestimmte Einstellungen während dem Filmen verändern, ohne störende Klickgeräusche oder Wackler zu verursachen.
Eine dedizierte Videotaste ist vorhanden. Diese startet jedoch direkt eine Aufnahme mit den aktuellen Voreinstellungen. Möchten Sie vorgängig noch etwas ändern, müssen Sie erst «Mode», dann «Info» drücken. Nicht gerade intuitiv. Ansonsten kann man sich nicht gross über die Bedienung beklagen. Wer sich Canon bereits gewöhnt ist, wird sich bei der EOS R sofort wohl fühlen. Wer von einem anderen System kommt, wird sich sofort ein wenig unwohl fühlen.
Falls Sie sich übrigens fragen, wo bei der EOS R die Blendenöffnung eingestellt wird, wenn das hintere Rad für ISO da ist, und das vordere Rad die Belichtungszeit übernimmt: Die Blendenöffnung verstellt man bei der EOS R am Objektiv. Das Rad dazu ist ein wenig gewöhnungsbedürftig and er Front des Objektivs platziert. Je nachdem wie man seine Kamera hält, muss man dazu ein wenig seine Balance verschieben. Dürfte aber sehr individuell variieren.
Das Menüsystem gibt nur wenig zu reden. Es ist ein Canon-Menü und entsprechend praktisch identisch mit den bekannten DSLR-Modellen. Das ist auch gut so, denn die Canon-Menüs sind ausgezeichnet strukturiert und einfach zu verstehen. Sogar als Nicht-Canon-User findet man sich schnell darin zurecht.
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Ausstattung

Ausstattung

Hat man sich erst einmal an die Bedienung gewöhnt, sollte man noch wissen, was die Kamera so in sich hat. Der Sprung zu einem spiegellosen System bringt einige Vorteile mit sich. So sind DSLM-Systeme meistens schneller, kompakter und stärker digitalisiert als DSLR-Kameras. Bei der Canon EOS R ist das ein wenig anders.
Tempoexzesse wie die 30 Bilder pro Sekunde anderer Hersteller gibt es hier nicht. Maximal sind 8 Bilder pro Sekunde möglich, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. Unter anderem nur mit Oneshot-Autofokus. Verwendet man den Servo-Autofokus, sinkt das Tempo auf rund 5 Bilder pro Sekunde. Nicht grundsätzlich ein Problem, aber für eine spiegellose Kamera in dieser Preisklasse doch eher wenig.
Auch bei der Kompaktheit ist Canon nicht gerade ein Vorreiter mit der EOS R. Genau genommen ist die EOS R nicht einmal viel kleiner als die meisten DSLR-Modelle. Der Vorteil davon: Platz für den Vollformat-Sensor und ein sehr angenehmer Grip. Aber halt nicht allzu viel Platzersparnis gegenüber einer 5D. Leichter ist die Kamera dafür ein gutes Stück: 300 Gramm weniger im Vergleich zur 5D Mark IV. Da kann man gleich drei Tafeln Schoggi mehr in den Wanderrucksack packen. Daumen hoch.
Die stärkere Digitalisierung kommt bei der EOS R teilweise durch. Der Touch-Balken ist ein Beispiel dafür. Ein anderes ist Der Touchscreen und der leisere Auslöser. Interessant ist dafür, dass sich der Sucher jeweils der Umgebung anpasst, nicht genau der gewählten Belichtung. Das fühlt sich deutlich mehr so an, wie bei einer DSLR, kann einen aber auch in die Irre führen. Ist man sich gewohnt, dass der Sucher die aktuell gewählte Belichtung anzeigt, vergisst man schnell auf den Belichtungsmesser zu schauen und greift daneben. Ansonsten gibt es über den Sucher aber ausschliesslich Gutes zu berichten. Er geht nämlich sehr schnell vergessen und das ist gut so. Ähnliches gilt für das Display. Es fällt nicht allzu sehr auf. Die üblichen 3,2 Zoll, dreh- und wendbar wie man das von Canon kennt. Die Touch-Bedienung funktioniert bestens und kann ausgeschaltet werden, sollte beispielsweise eine grosse Nase in die Quere kommen.
Bei den Anschlüssen setzt Canon auch grösstenteils auf Bekanntes. HDMI, Mikrofon-Input, Kopfhörer-Output und ein Anschluss für die Canon-Fernbedienung. Neu dafür ist USB-C (3.1 Standard). Dieser bringt vor allem zwei Dinge mit sich: Schnellere Bildübertragung und Laden per USB. Letzteres ist allerdings nur mit spezifischen Adaptern möglich. Im Lieferumfang ist ein solcher Adapter nicht enthalten.
Was einigen Enthusiasten auf den Magen schlagen könnte ist der einzelne SD-Kartenslot. Allerdings muss man sagen, dass einer der Hauptgründe für einen zweiten Slot bei der EOS R bereits woanders ausgeschlossen wird. Eine zweite Karte als Überlauf für Serienaufnahmen ist vor allem im Sport relevant. Für diesen Zweck macht sich die EOS R aber schon mit ihrer niedrigen Bildrate unbeliebt. Es fehlt also noch die zweite SD-Karte für Backups, was durchaus ein Verlust ist. Stört aber nicht jedermann.
Zum Schluss sollte noch ein spezifisches Feature der EOS R erwähnt werden: Die flexible Belichtung. Dabei handelt es sich um einen Modus, der die bekannten Tv/Av und Auto-ISO-Modi kombiniert. Sie kontrollieren jeweils einen Faktor (Blende, Belichtungszeit, ISO und Belichtungskompensation) per Hauptrad, während die anderen Werte automatisch angepasst werden. Mit dem zweiten Rad wechseln Sie, welcher Faktor angewählt ist. So können Sie einfach und schnell verschiedene Werte anpassen, ohne die Automatik komplett hinter sich zu lassen.
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Bildqualität

Bildqualität

Falls Sie bereits eine Canon EOS 5D Mark IV besitzen, können Sie diesen Abschnitt eigentlich auch überspringen. Die EOS R ist in Sachen Bildqualität extrem nahe an der 5D Mark IV dran. Mit einem per Adapter angeschlossenen EF-Objektiv erreicht man praktisch identische Ergebnisse. Das ist gut so, denn die 5D Mark IV ist für herausragende Bilder bekannt und entsprechend eine beliebte Wahl für Profis und Amateure.
Verantwortlich für die Bilder ist ein Vollformat-Sensor mit Dual-Pixel Autofokus und 30 Megapixel. Im standardmässigen 3:2-Format sorgt das für Bilder mit einer Auflösung von 6720 x 4480. Wer mehr brauch, muss zum Spezialisten. Die ISO-Reichweite beginnt bei 100 und endet bei 40'000 im manuellen Modus. In den automatischen Modi ist bei 12'800 Schluss. Praktisch gesehen sind Bilder bis 10'000 ISO noch brauchbar, was etwa durchschnittlich für eine Kamera dieser Klasse ist.
Bilder hier
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Objektive

Objektive

Ein neues System heisst auch immer neue Hardware. Das ist auch bei der Canon EOS R so. Allerdings müssen bestehende Canon-User ihre alten Objektive nicht gleich in die Tonne treten. Mit dem EF-Adapter können Sie sämtliche bestehenden Canon-DSLR-Objektive an die EOS R anschliessen. Auch jene, die für den kleineren APS-C-Sensor entwickelt wurden.
Zum Launch der EOS R sind noch nicht allzu viele Objektive verfügbar. Genau genommen sind es nur gerade vier:
·       Canon RF 35mm f/1.8 IS Macro STM
·       Canon RF 50mm f/1.2L USM
·       Canon RF 24-105mm f/4L IS USM
·       Canon RF 28-70mm f/2L USM
Die 35mm-Festbrennweite ist dabei die einzige eher günstige Linse, während das 28-70mm und das 50mm-Objektiv sich klar an eine anspruchsvollere Kundschaft richtet. Das 24-105mm-Objektiv dürfte für die meisten Käufer das Kit-Objektiv der Wahl sein. Dazu gibt es drei verschiedene Adapter, mit denen Sie Canon-EF-Objektive anschliessen können. Einen einfachen Adapter, ohne Extras, einen Adapter mit Kontrollring für Blendenöffnung am Objektiv, und einen Adapter mit Filter-Einschub.
Wer sich beim Kamera-Body mehr Kompaktheit erhofft hatte, wird hier so richtig enttäuscht. Die Objektive des RF-Systems sind geradezu gigantisch. Allem voran das schon fast lustig grosse 28-70mm f/2L und das 50mm f/1.2, welches besonders neben einem 50mm f/1.8 EF wie eine absolute Einheit aussieht.
Im Gegenzug dazu erhält man qualitativ hervorragendes Glas. Wie Sie schon im Abschnitt Bildqualität lesen konnten, liefert die EOS R hier solide Arbeit ab und ein grosser Teil davon liegt auf dem Rücken der Objektive. Wir konnten das 24-105mm f/4 und das 50mm f/1.2 testen.

RF 24-105mm f/4L IS USM

Kurze Entschlüsselung zu Beginn: Dieses Objektiv hat nichts mit Terrorismus zu tun. Die Buchstaben hinter der Brennweite und der maximalen Blendenöffnung stehen für «Image Stabilization» und «Ultra Sonic Motor». Also für eingebaute Bildstabilisation und einen schnellen und leisen Autofokus-Motor.
Das 24-105 f/4 dürfte für die meisten Neuzuzüger des R-Systems das Kit-Objektiv werden. Die grössere Reichweite und der deutlich niedrigere Preis dürften für die meisten Amateure und sogar diverse Profis ein besseres Argument sein als die bessere Blendenöffnung des 28-70 f/2. Was dabei hilft: Das 24-105mm-Objektiv ist bereits an sich sehr gut. So gut wie man das von einem Canon-L-Objektiv erwartet. Scharf bis weit in die Ecken und mit einer gleichmässigen Leistung durch alle Brennweiten. Ganz zum Rand wird das Bild etwas weich, was aber an der Natur von Zoom-Objektiven liegt und nie ganz vermieden werden kann.
Im Vergleich zu bestehenden DSLM-Systemen sind die Objektive der RF-Serie deutlich grösser und schwerer. Mit seinen stolzen 700 Gramm Kampfgewicht gehört auch das 24-105 zu den Schwergewichten unter den DSLM-Objektiven. Vergleicht man allerdings mit den bestehenden EF-S-Objektiven von Canon, sind die Werte schon deutlich besser. Das Canon EF 24-105 f/4 wiegt beispielsweise 795 Gramm.

RF 50mm f/1.2L USM

Ein Kamerasystem ohne 50mm-Objektiv ist kein richtiges Kamerasystem. Glücklicherweise hat Canon mit dem 50mm f/1.2 ein absolut sagenhaftes «Nifty-Fifty» kreiert. Scharf bis an die Kanten und mit einer maximalen Brennweite von f/1.2 sowohl für Portraits als auch für Nachtaufnahmen eine wahre Freude. Doch zu was für einem Preis? 750 Gramm Kampfgewicht und über 2300 Franken Kaufpreis. Vielleicht weniger was für unter den Weihnachtsbaum, dafür für das professionelle Toolkit. Wer das nötige Kleingeld hat, darf aber getrost zugreifen, denn das 50mm f/1.2 liefert eine Performance, die den Preis mehr als rechtfertigt.
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Video und Fazit

Video

Eine Schwachstelle der EOS R ist ironischerweise der Videomodus. Ironischerweise, weil die Kamera häufig mit der 5D Mark IV verglichen wird, welche im positiven Sinne für ihre Videofähigkeiten bekannt war. Bei der EOS R scheint es jedoch, als wäre die Zeit in der Canon-Fabrik kurz stehengeblieben.
Das beginnt bei der Bedienung des Videomodus. Statt einem dedizierten Videoschalter, gibt es eine Videotaste. Diese schaltete aber nicht in den Videomodus, sondern startet direkt eine Aufnahme mit den zuletzt verwendeten Einstellungen. Wer seine Einstellungen vor der Aufnahme noch einmal kontrollieren oder ändern möchte, drückt «Mode», dann «Info» muss man erst einmal draufkommen.
Es geht weiter mit den Aufnahmemodi. 4K30 ist vorhanden, allerdings nicht auf dem kompletten Sensor, sondern mit einem 1,75-fachen Zuschnitt. So wird aus dem schönen 50mm f/1.2 schnell ein 87,5mm-Objektiv. Dann fehlen diverse Funktionen ohne wirklich ersichtlichen Grund: Die Zebra-Funktion gibt es nur mit externem Recorder. Das Histogramm verschwindet während der Aufnahme. C-Log lässt sich nur im manuellen Modus aufnehmen. Und Video mit EF-Objektiven wird sogar in 1080p mit Faktor 1,75 zugeschnitten, obwohl die APS-C-Objektive von Canon eigentlich nur einen 1,6-fachen Crop benötigen.
Dabei wären die Aufnahmen selbst sehr gut. Die klassischen Canon-Farben und internes C-Log machen durchaus Freude und lassen einen sogar den eher starken Rolling-Shutter-Effekt vergessen. Dazu kommt der absolut geniale Autofokus während der Videoaufnahme. Insgesamt riecht der Videomodus der EOS R so ein wenig nach erste Generation, nach «Warten wir auf die EOS R Mark II».

Fazit

Die EOS R ist nahe an den DSLR-Wurzeln von Canon dran, manchmal zu nahe, bringt dafür aber gewohnte Canon-Qualität in einen Markt, in dem viel Halbfertiges in den Läden landet. Die EOS R ist somit eine Art sichere Wahl und ist an und für sich zwar nicht besonders aufregend, macht aber gwundrig auf die Zukunft des sehr solid aussehenden Systems.



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