Logdaten-Auswertung 24.03.2021, 12:10 Uhr

«Aufschieberitis» im Onlinestudium

Wir alle kennen einen guten Grund, eine wichtige Aufgabe vor uns herzuschieben. Ein Forscherteam an der FFHS untersucht in mehreren Studien, wie man die «Aufschieberitis», im Fachjargon Prokrastination, im Onlinestudium vorhersagen und darauf reagieren kann.
Mit Hilfe von Logdaten konnte das Aufschiebeverhalten vorhergesagt werden
(Quelle: FFHS)
«Das frühzeitige Erkennen von Aufschiebetendenzen im Onlinestudium ist für die FFHS wichtig, da Prokrastination insbesondere im Fernstudium stark mit Studienabbrüchen zusammenhängt», erklärt Christof Imhof vom Institut für Fernstudien- und eLearningforschung (IFeL). Zusammen mit einem Team der FFHS untersucht er in einem der Projekte «ProkraSSS», inwiefern eine Voraussage über das Aufschiebeverhalten von Studierenden gemacht werden kann. Dabei steht «ProkraSSS» für Prokrastination, selbstgesteuertes Lernen und Selbstwirksamkeit im Sport.
Aufschiebeverhalten kann sowohl positiv als auch negativ sein: Die negative Variante ist als Prokrastination bekannt und äussert sich als das irrationale Aufschieben wichtiger Dinge. Positives Aufschiebeverhalten hingegen wird bewusst als Planungsstrategie fürs Lernen eingesetzt.
Prokrastination kann auch noch weiter differenziert werden. Ein Beispiel hierfür ist die Typologie von Psychotherapeutin Jennifer Shannon, die vier Typen auflistet: Perfektionisten, Kämpfer, «Pleaser» und Rebellen (vgl. Kasten). Der Unterschied liegt in der Motivation hinter dem Aufschiebeverhalten.
Welcher Prokrastinationstyp bist du?

Logdaten sagen Aufschiebeverhalten voraus

Die Studie des IFeL konzentriert sich vorerst auf die negative Variante des Aufschiebeverhaltens, die dazu führt, dass persönliche oder vorgegebene Ziele nicht erreicht werden. In einer Vorstudie hat Imhof zusammen mit einem Team untersucht, ob eine Voraussage über das Aufschiebeverhalten gemacht werden kann.
Dabei wurden subjektive und objektive Faktoren unterschieden. Bei den subjektiven Faktoren handelt es sich um Selbstwirksamkeit, selbstgesteuertes Lernen, Prokrastination (als Einstellung) und bewusstes Aufschieben. Die objektiven Faktoren sind klickbasierte und zeitliche Logdaten aus der Lernplattform Moodle: Gemessen wurde, wie oft eine Person auf eine Einsendeaufgabe oder eine relevante Kursaktivität geklickt hat und wie gross der zeitliche Abstand zwischen dem ersten Klick auf eine Aufgabe und deren Einreichung war.
Die Resultate zeigen, dass objektive Faktoren das Aufschiebeverhalten, also das Einhalten des Abgabetermins, besser voraussagen können als subjektive Faktoren. Dies unterstreicht die Wichtigkeit von Logdaten in der Erkennung von Aufschiebetendenzen.
Die Grafik zeigt zwei Beispiele für einen möglichen Einreichprozess einer Aufgabe. Im grünen Beispiel geschieht der erste Klick auf Moodle früh und die Aufgabe wird fristgerecht abgegeben. Im roten Beispiel passiert der erste Klick erst kurz vor der Deadline, sodass die Abgabe nicht mehr fristgerecht erfolgt. Der Zeitpunkt des ersten Klicks kann daher ein wertvoller Hinweis sein für Aufschiebetendenzen.
Quelle: FFHS

Weiterführende Studien

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen arbeitet das Projektteam derzeit an zwei weiteren Studien. Zum einen wird die Studie nun ebenfalls an der North-West University (NWU) in Südafrika mit Sportstudierenden durchgeführt und mit Interviewdaten erweitert, wovon man sich mehr Kontextinformation erhofft.
Diese sollen helfen, die Art des Aufschiebeverhaltens und die Beweggründe dahinter besser zu verstehen und unterstützende Massnahmen abzuleiten. Beispielsweise könnte man Studierenden, die Schwierigkeiten in der Planung haben, eine Übersicht über die bevorstehenden Abgabetermine bereitstellen. Studierenden, die Aufgaben aus Unsicherheit hinausschieben, könnten Vorbereitungsaufgaben angeboten werden. Die ersten Ergebnisse in der fortgeführten Studie werden bis Herbst/Winter 2021 erwartet.
Eine andere weiterführende Studie verfolgt das Ziel, Prokrastination im Online-Studium mit Unterstützung durch Methoden aus dem Bereich KI zu erkennen (z.B. neuronale Netzwerke). Erste Ergebnisse weisen auf eine gute Vorhersagegenauigkeit hin (über 70%).

Autor(in) pd/ jst



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