Schlummerndes Potenzial 21.07.2023, 09:15 Uhr

Apple Fotos für Anspruchsvolle

Die Fotos-Anwendung von Apple wirkt wie eine harmlose Beigabe zum System. Doch mit der richtigen Herangehensweise wächst sie über sich hinaus.
In Apples Fotos-Anwendung steckt ungeahntes Potenzial
(Quelle: Shutterstock / ze)
Schnappen Sie sich einen professionellen Fotografen, der mit Adobe Lightroom oder Capture One arbeitet, und befragen Sie ihn zu seiner Meinung zu Apples Fotos-Anwendung. Ziemlich sicher werden Sie nur ein müdes Lächeln ernten. Zu banal der Funktionsumfang, zu spassig die Bedienung. Überhaupt: Wie soll man als Profi eine Anwendung ernst nehmen, die auf die Knipserei mit dem Smartphone ausgelegt ist? Und so häufen sich die Irrtümer.
Wir werden uns gleich ansehen, mit welchen Techniken und Erweiterungen Fotos zu einer ausgewachsenen Profisoftware heranwächst. Doch zuvor werfen wir einen Blick auf jene Eigenschaften, die diese Anwendung so unwiderstehlich machen – und das sind weniger die Werkzeuge zur Überarbeitung und Retusche, sondern vielmehr die ausgefuchste Verwaltung.
Deshalb ist es unser Ziel, die Fähigkeiten von Fotos vollumfänglich zu bewahren und gleichzeitig die fortgeschrittenen Möglichkeiten für die Retusche in alle Richtungen zu erweitern.

Die Vorzüge

Was Fotos von der schwergewichtigen Konkurrenz unterscheidet und gleichzeitig so reizvoll macht, ist seine Allgegenwart. Mit dem iPhone geschossene Bilder landen direkt in der zentralen Bibliothek, die über iCloud mit allen anderen Apple-Geräten synchronisiert wird – bis hin zur direkten Wiedergabe auf dem Apple TV. Auch Verbesserungen an den Bildern, Alben oder Löschungen werden nahtlos abgeglichen. Dabei versteht sich Fotos auch mit JPEGs und RAW-Dateien aus allen erdenklichen Kameras. Die Software bildet ausserdem die perfekte Drehscheibe, um schnell einen Schnappschuss an eine E-Mail zu hängen, als Nachricht zu verschicken oder auf Social Media zu veröffentlichen.
Screenshot von Apple Fotos mit Werkzeugen zur Bearbeitung
Auf den ersten Blick wirkt ‹Fotos› nicht unbedingt wie eine Profi-Software
Quelle: PCtipp.ch
Werden die Bilder hingegen aus der Kamera über die SD-Karte in Lightroom importiert, bearbeitet, exportiert, in eine E-Mail eingesetzt und erst dann verschickt, dann vergeht auch die grösste Lust aufs Teilen. Doch Fotos reduziert diesen ganzen Prozess auf wenige Klicks.

Extensions

Obwohl Fotos sehr viele Funktionen für die breite Masse bietet, werden Sie irgendwann nach erweiterten Möglichkeiten suchen. Einer der besten Ansätze ist die Verwendung einer Software als Extension – falls diese Software es zulässt, denn leider sind diese Programme in der Minderheit. Wir werden später darauf zurückkommen.
Um eine Anwendung als Extension aufzurufen, wechseln Sie in Fotos am Mac in den Bearbeiten-Modus. Klicken Sie oben rechts auf die drei Punkte und wählen Sie das gewünschte Programm aus, mit dem Sie das Bild verändern möchten.
Einige Programme sind innerhalb von ‹Fotos› als Extension zugänglich
Quelle: PCtipp.ch
Auf den Mobilgeräten funktioniert das genau gleich. So getan, wird die Oberfläche von Fotos durch jene der anderen Anwendung ausgetauscht: Die fremde Anwendung läuft also innerhalb von Fotos. In einigen Fällen kann es jedoch sein, dass nicht alle Funktionen der externen Anwendung in Fotos erreichbar sind.

Direkter Zugriff

Allerdings sind die praktischen Extensions eher auf dem Rückzug. Stattdessen arbeiten immer mehr Programme direkt mit der Fotos-Mediathek zusammen.
Bei einem ersten flüchtigen Kontakt wirkt ‹Darkroom› wie ein Klon von ‹Fotos›; kein Wunder, denn es greift direkt auf dessen Mediathek zu
Quelle: PCtipp.ch
In solchen Fällen wird ihre gesamte Struktur aufgefächert. Bilder werden in der App manipuliert und direkt zurück in die Mediathek gesichert, wo sie das Original ersetzen. (Dazu gleich mehr.) Der Sicherung geht immer eine Warnung voraus:
Jeder Übergriff auf ein Original muss zuerst abgenickt werden
Quelle: PCtipp.ch

Unverwundbare Originale

Zu den wichtigsten Eigenschaften von Fotos gehört auch, dass die Originale ausnahmslos in Sicherheit sind. Egal, was Sie oder eine Drittanbieter-App mit einem Bild anstellen: Sie können stets zum Original zurückkehren, denn Apple erlaubt es nicht anders. Rufen Sie einfach das modifizierte Bild im Bearbeiten-Modus auf. Am Mac klicken Sie links oben auf die Schaltfläche Zurück zum Original.
Hier lässt sich am Mac jederzeit das Original aufrufen
Quelle: PCtipp.ch
Am iPhone oder iPad tippen Sie im Bearbeiten-Modus auf den geschwungenen roten Pfeil.
Die Wiederherstellung funktioniert am iPhone sehr ähnlich – egal, wo das Bild modifiziert wird
Quelle: PCtipp.ch
Dabei werden allerdings sämtliche Änderungen zurückgesetzt – auch jene, die aus einer anderen Anwendung stammen und die Sie vielleicht gerne behalten hätten.
Vorbei sind also die düsteren Zeiten, in denen Sie ein Archiv mit den Originalen und eines mit den modifizierten Bildern pflegten. Es gibt nur noch einen Pool zu bewirtschaften. Allerdings ist es wohl unabdingbar, dass Sie das iCloud-Datenkontingent anständig aufstocken, und zwar mindestens auf 50 GB für 1 Franken pro Monat. Das gilt erst recht, wenn RAW-Dateien ins Spiel kommen.
Jetzt benötigen wir nur noch fähige Programme, die aus Fotos eine waschechte Profisoftware machen, die es mit den Grossen aufnehmen kann. So viel vorweg: Keines der Programme ist kostenlos. Aber in Anbetracht dessen, was ein Abo für Adobe Lightroom oder Capture One kostet, wirken die Ausgaben sehr überschaubar.

Pixelmator Pro

Pixelmator Pro für den Mac gehört zu den exklusiven Programmen, die bei jeder Gelegenheit mit Lob überschüttet und als Vorzeigemodell angepriesen werden. Er setzt stark auf künstliche Intelligenz, um Fotos mit einem Klick zu optimieren. Gleichzeitig stehen sehr mächtige Werkzeuge für die Feinarbeit zur Verfügung, die auch präzise manuelle Eingriffe erlauben.
Die Software bietet ausserdem Feinheiten wie die Separation der Tiefenmaske, die das iPhone für den Porträt-Effekt erzeugt oder die Möglichkeit, Vektorgrafiken und Schriften einzubauen. Vor allem aber stützt sich Pixelmator Pro auf «Machine Learning»: Überall dort, wo ein Regler von der Schaltfläche ML ­begleitet wird, funktionieren Verbesserungen auf Knopfdruck – und zwar mit sehr überzeugenden Resultaten.
Ebenen, Texte, ausgefuchste Funktionen: Pixelmator Pro bietet all das
Quelle: PCtipp.ch
Die Oberfläche ist für Einsteiger sehr zugänglich und logisch. Wenn Sie jedoch ein ausgeprägtes Muskelgedächtnis für Photoshop entwickelt haben, dauert die Aufwärmphase vielleicht etwas länger.
Info: für macOS, Deutsch, Demo unter pixelmator.com, Kauf im Mac App Store, einmalig 50 Franken.

Affinity Photo

Affinity Photo machte sich aus zwei Gründen einen Namen: Erstens kann es tatsächlich Photoshop das Wasser reichen und zweitens ist die Software spottbillig. Wie auch Pixelmator lässt sie sich als eigenständige Anwendung oder modulweise als Fotos-Extension aufrufen. Das einzige Problem mit Affinity Photo ist seine Komplexität, die jener Photoshop in nichts nachsteht. Die Oberfläche wirkt zwar wesentlich frischer und durchdachter – aber das ändert nichts daran, dass die Lernkurve zuweilen recht steil wird.
Affinity Photo ist vermutlich der stärkste Konkurrent zu Photoshop
Quelle: PCtipp.ch
Trotzdem kann Affinity Photo zu einer interessanten Erweiterung des Arsenals werden. Es bietet eine umfangreiche RAW-Entwicklung, Focus-Stacking für durchgehend scharfe Makroaufnahmen, Pano­rama-Stitching und weitere anspruchsvolle Möglichkeiten. Diese «Personas» agieren wie kleinere Programme innerhalb von Affinity Photos und sorgen durch diese Stückelung dafür, dass der Funktionsumfang nicht in einem Bissen bewältigt werden muss. Auch als Extension lässt es sich nicht nur als Klumpen aufrufen; stattdessen picken Sie eines der wichtigsten Module heraus, die ein wenig zugänglicher und überschaubarer wirken.
Info: für macOS, Deutsch, Download und ­Lizenz im Mac App Store unter für einmalig 69 Franken.

Luminar Neo

Natürlich darf hier Luminar Neo nicht fehlen, ebenfalls eine Klasse für sich. Zum einen handelt es sich um einen Bild- und RAW-Converter mit den klassischen Funktionen. Vor allem aber biegt Luminar Neo die Realität zurecht. Es gibt unzählige Funk­tionen und Automatismen, um die Gesichtszüge zu korrigieren, die Zähne aufzuhellen, Telefondrähte zu entfernen oder fade Himmel in ein prächtiges Lichtermeer zu verwandeln.
Luminar Neo manipuliert mit viel Raffinesse die Realität
Quelle: PCtipp.ch
Dabei punktet die Software mit zwei Stärken: Die Bedienung ist dank KI wirklich ein Kinderspiel – und die Ergebnisse wirken fast schon unheimlich realistisch. Wie weit die Verzerrung der Realität geht, ist jedem selbst überlassen. Ein Klick, und die Akne ist weg – aber warum auch nicht? Die würde sich höchstens in einem dermatologischen Bericht gut machen. Neue Schleierwolken an einem Himmel, der sich fad-blau präsentierte? Klar, es hätte ja sein können. Alles ist Ermessenssache, aber wenn die Änderung gewünscht ist, liefert Luminar Neo fantastische Resultate.
Info: für macOS, Deutsch, Demoversion und Download unter skylum.com/de. Einmalkauf inklusive Updates für ein Jahr für ca. 129 Franken; Abo mit unbegrenzten Updates ca. 65 Franken jährlich.

RAW Power

Was jetzt noch fehlt, ist eine spezialisierte RAW-Bearbeitung, die auch mit weniger gängigen Formaten zurechtkommt, wie etwa den komprimierten RAWs von Fujifilm. Hier bringt sich RAW Power in Stellung. Hinter der Software stehen ehemalige Apple-Entwickler, die für Aperture verantwortlich zeichneten. Die Software wurde von Apple bereits 2014 mit der Einführung von OS X Yosemite abgekündigt, was von einigen Fans bis heute nicht verziehen wurde.
RAW Power will diese Lücke schliessen und orientiert sich am klassischen RAW-Workflow, bis hin zu Objektivkorrekturen. Genau wie Darkroom funktioniert die Bearbeitung wahlweise aus «Fotos» heraus oder als eigenständige Anwendung, die direkt auf die Sammlung zugreift. Die Oberfläche wirkt schmucklos bis trist, aber vielleicht ist sie deshalb die ideale Umgebung, um sich auf das Bild zu konzentrieren. Eine Demoversion steht auf der Website des Herstellers zur Verfügung.
RAW Power stammt von Entwicklern, die auch an Apples Aperture mitgearbeitet haben
Quelle: PCtipp.ch
Info: für macOS, Deutsch, Demoversion unter gentlemencoders.com. Kauf im Mac App Store für einmalig 40 Franken.

Darkroom • Fazit

Darkroom

Darkroom ist seit der ersten Version eine der besten Foto-Apps für das iPhone und das iPad. Es konzentriert sich darauf, die Farben, Kontraste und andere Parameter gezielt zu verbessern – es bietet jedoch keine Werkzeuge für die pixelgenaue Retusche, um etwa Objekte zu entfernen.
Mit Version 6 wurden die Karten neu gemischt, weil umfangreiche Masken hinzugekommen sind: Auf Knopfdruck werden Personen und sogar Objekte mit einer Präzision markiert, die fast immer makellos ist. Auf dieser Basis werden die ausgewählten Partien bearbeitet.
Darkroom arbeitet sehr intensiv mit Masken und gehört bei der Evaluation einer Fotosoftware ganz oben auf die Liste
Quelle: PCtipp.ch
Darkroom funktioniert nicht als Extension. Allerdings wirkt die App wie ein Klon von Fotos. Darkroom greift ausserdem direkt auf die Fotos-Bibliothek zu, sodass es keine Umwege über Exporte und Importe gibt. Durch diese Trennung bietet Darkroom einen enormen Vorteil, weil es die ­Anpassungen auf eine beliebige Anzahl von Bildern anwenden kann: Denn erst mit dieser Stapelverarbeitung wird Fotos zu einer echten Alternative zu Adobe Lightroom und Konsorten, wenn ein Shooting in einem ersten Schritt einer kollektiven Bearbeitung unterzogen wird. Zudem werden diese Neuzugänge mithilfe der Tastatur überflogen und Bilder abgelehnt oder als Favoriten bewertet. Diese Effizienz ist für jeden Profi unabdingbar, denn Zeit ist Geld.
Info: für macOS, iOS und iPadOS, Deutsch, Download im Mac App Store. Gemeinsame Lizenz für Mac, iPad und iPhone für 30 Franken jährlich oder einmalig 80 Franken.

Fazit: Das Beste von allem

Egal, für welche der vorgestellten Programme Sie sich entscheiden: Alle Vorzüge von Fotos bleiben erhalten – von der Verwaltung über die Synchronisierung mit iCloud bis hin zum einfachen Teilen der Bilder. Die richtige Mischung verhilft dabei zu einer Umgebung, deren Flexibilität und Funktionalität von keiner spezialisierten Software erreicht wird.



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